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+++ Parlamentarismus reicht halt nicht – Zeit für Anarchie +++

In Deutschland leben wir in einer parlamentarischen Demokratie. Aber was ist überhaupt Demokratie? Demokratie bedeutet übersetzt aus dem Griechischen „Herrschaft des Volkes“. „In Demokratien ist 1. das [sogenannte] Volk oberster Souverän und oberste Legitimation politischen Handelns. Das bedeutet i.d.R. jedoch nicht, dass das [sogenannte] Volk unmittelbar die Herrschaft ausübt. Vielmehr sind 2. die modernen Massen-Demokratien durch politische und gesellschaftliche Einrichtungen […] geprägt, die die Teilhabe des größten Teils der Bevölkerung auf gesetzlich geregelte Teilhabeverfahren (z.B. Wahlen) beschränken.“1 Wie aus dieser Definition hervorgeht, gibt es also weiterhin Herrschaftsverhältnisse, die bekanntermaßen nicht selten mit Gewalt durchgesetzt werden. Klar, könnten wir in einem noch schlechterem politischen System wie zum Beispiel in einer Diktatur, leben, aber eben auch in einem bedeutend besseren. Das geht über mehr als politische Teilhabe hinaus. Wir denken hierbei an ein anarchistisches System. Im nachfolgenden Text möchten wir sowohl die Probleme aufzeigen, die parlamentarische Demokratien mit sich bringen, sowie darauf verweisen, dass die Teilhabe in Deutschland immer weiter eingeschränkt wird und zum Abschluss anführen, warum wir deshalb für Anarchie kämpfen.


Im Parlamentarismus wird dem sogenannten Volk kaum Teilhabe an politischen Entscheidungen zugestanden. Aus ihrer Teilhabe, also dem Gang zur Wahlurne, leiten die Gewählten lediglich ihre Macht ab. „Wenn Wahlen wirklich etwas verändern würden, wären sie verboten.“ heißt es so schön wie zynisch. Denn darauf was in Parlamenten dann tatsächlich entschieden wird, haben die Wahlberechtigten wenig bis gar keinen Einfluss mehr. Sichtbar ist das schon daran, wie normalisiert es ist, das sowohl Wahlversprechen, als auch gesetzte Ziele durch die Bundes- und Länderregierungen, wie Koalitionsverträge nicht eingehalten werden. Das Nichteinhalten von Wahlversprechen hat keinerlei rechtliche Konsequenzen. Den verarschten Wähler*innen bleibt nichts anderes übrig als das nächste mal eine andere Partei, die natürlich aber ebenso glaubhafte Versprechungen macht, zu wählen. In der Wirtschaft würde eine solche Praxis als Betrug geahndet werden.


Dabei wird längst nicht allen, die von den Entscheidungen, die in deutschen Parlamenten getroffen werden, auch berechtigt dieses zu wählen. Besonders sticht der rassistische Ausschluss über die Verteilung von Staatsbürgerschaften hervor. Ein weiteres Problem ist der komplett normalisierte Ausschluss von Menschen die als unmündig angesehen werden wie zum Beispiel Kinder, Jugendliche oder Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Neben den im Vorhinein Ausgeschlossenen, gibt es auch diejenigen, die durch zu große Barrieren vom Wählen abgehalten werden. Gründe wären geistige und körperliche Beeinträchtigungen, Krankheiten, Sprachbarrieren oder Diskriminierung aufgrund von Rassismus und Klassismus. 


Selbst wenn eine Person dann die zahlreichen Hürden zur Wahlurne überwunden hat, ist die Wahl maximal unrepräsentativ. Weiß, deutsch,  cis-männlich, Akademiker, obere Mittelschicht und mittelalt bis alt, ist die Beschreibung, die auf den größten Teil des Bundestags zutrifft, im Gegensatz zu denen, für die sie entscheiden sollen. Damit ist die „Volksvertretung“ maximal unqualifiziert andere zu vertreten, als diejenigen die eh schon am priviligiertesten sind oder bereits in Machtpositionen sitzen. Da genau das passiert trägt das Parlament maßgeblich dazu bei, dass Diskriminierung und Ausbeutungssystemen wie Rassismus, Klassismus oder das Patriarchat  aufrecht erhalten werden. 


Dass Wahlen nur Nuancen der Politik verändern, zeigt sich sehr beispielhaft darin wie sich Klimapolitik von Union und Grüne unterscheiden – so gut wie gar nicht. Von der Union muss mensch sich zumindest kein Gejammer über „Bauchschmerzen“ bei Entscheidung wie der Zerstörung Lützeraths anhören. Zahlreiche Grüne, die Politiker*innen geworden sind um Klimaschutz zu betreiben, stimmen immer wieder Gesetzen zu, die das exakte Gegenteil bewirken.


Die Rechtfertigung ist immer wieder, in der Koaliation, die es zum Regieren braucht, müsse mensch Zugeständnisse machen. Das stimmt zwar, in diesem politischen System gedacht, führt uns so aber auch das Grundproblem vor Augen: das parlamentarische System als solches. In diesem System werden alle wesentlichen politischen Entscheidungen im Parlament und nicht bspw. durch die betroffene Bevölkerung direkt getroffen. Um an der Macht zu sein bzw. einfacher Regieren zu können, sind dafür Koalitionsbildungen legal und gängig. Verschiedene Parteien schließen sich mit ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammen um so möglichst selten in die Situation zu kommen mit anderen Fraktionen Kompromisse auszuhandeln und Debatten zu führen, die nicht nur zur Darbietung der eigenen politischen Position dienen sondern um gemeinsam Entscheidungen zu treffen.Glücklicherweise gibt es in unserem politischen System ja Lobbyist*innen, die Abhilfe gegen die (nicht) vorhandenen „Bauchschmerzen“ zu verschaffen wissen… (In anderen Ländern nennt sich dies übrigens auch Korruption.)


Neben Wahlen gibt es noch andere Formen der politischen Teilhabe. Unter Einhaltung bürokratischer Vorschriften können Petitionen und Klagen eingereicht oder Demonstrationen durchgeführt werden. Genau das ist hier bei den Ausbauplänen zum Südschnellweg, wie bei so vielen ähnlichen fossilen Projekten, passiert.Statt sich zur Vernunft oder zumindest zur Verfassung (Artikel 20a Grundgesetz) zu besinnen macht die parlamentarische Politik das exakte Gegenteil. Menschen, die von ihrer legalen (!) politischen Teilhabe Gebrauch machen wollen, werden kriminalisiert oder bestenfalls komplett ignoriert. Der zunehmend repressive Umgang mit zivilem Ungehorsam ist beispielhaft für Kriminalisierung während das Ignorieren von Petitionen gang und gäbe ist. Diese „Teilhabe“ ist somit nichts weiter als Bittstellerei. Die Cops, die den Status quo gewaltsam verteidigen, werden mit Polizeigesetzen, die extra auf Aktivist*innen zugeschnitten sind, weiter von der Leine gelassen und die Repressionen immer krasser und absurder. 


„Lex Ende Gelände“ bzw. das Polizeigesetz von NRW ist da ein gutes Beispiel für 2 3. Das Gesetz ist darauf ausgerichtet die Aktionsform von Ende Gelände unwirksam zu machen. Statt 12 Stunden werden so vor allem Klimaaktivist*innen bis zu sieben Tage ihrer Freiheit beraubt, wenn sie versuchen ihre Identität zu verweigern. Lange Gewahrsamszeiten machen eine erfolgreiche Identitätsverweigerung deutlich unwahrscheinlicher und entziehen der Aktionsform damit eine wichtige Grundlage. Damit richtet sich diese Gesetzesänderung direkt gegen Identitätsverweigerung, was nicht einmal eine Straftat ist, statt gegen Terrorismus. Die haarsträubende Argumentation für dieses Gesetz ist „Abwehr von Terrorgefahr“ während Politik & Wirtschaft die Klimakatastrophe und diverse Ökozide fortwährend befeuern… So werden Menschen durch den Staat von ihrer politischen Einflussnahme abgehalten. Die Anwendung von § 129a StGB auf die Letzte Generation treibt es noch weiter auf die Spitze…

Es gibt daneben zahlreiche weitere Beispiele, wie diese bereits sehr geringe politische Teilhabe noch weiter beschnitten werden soll und auch beschnitten wird.


Nun wird auch noch durch verschiedene Parteien gefordert, dass das Verbandsklagerecht eingeschränkt werden soll. Dies ist schlicht antidemokratisch und autoritär.


Die Lokführer*ingewerkschaft GDL streikte für angemessenere Bezahlung sowie bessere Arbeitsbedingungen – also reformistisch-moderate Forderungen. Da die parlamentarische Politik und die Wirtschaft schon mal gar nicht für Lohnarbeitende einsetzt, ist gerade das im Grundgesetz verankerte Streikrecht elementar für die wirtschaftspolitische Teilhabe. Solche dringend notwendigen Arbeitskämpfe sind durch das aktuelle Streikrecht bereits sehr beschränkt. Diese Beschränkung wollen CDU, FDP & Wirtschaft vor dem Hintergund der Streiks der GDL noch weiter verschärfen und stehen dazu sogar öffentlich! Das ist Arbeitskampf, aber von oben…


Der Beschnitt politischer Teilhabe bleibt aber nicht bei solch antidemokratisch-autoritären Fantasien. Der Fall von „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ zeigt dies sehr anschaulich. In dieser Initiative haben sich Berliner Mieter*innen zusammengetan und letztendlich einen Volksentscheid erwirkt, dessen klares Ergebnis ist, dass Berliner Wohnungskonzerne zu enteignen sind. Als Volksentscheid ist dies somit rechtlich bindend für die Regierung Berlins. Diese weigert sich faktisch aber diesen Entscheid umzusetzen und bricht damit bewusst geltendes Recht, was das Ganze besonders entlarvend macht.

Wir haben aufgezeigt, weshalb Parlamentarismus keine Lösung ist und wie dieses politische System zunehmend noch antidemokratischer und autoritärer wird. Aber was ist die Alternative? Unsere Antwort: Anarchie.


„Aber ist Anarchie nicht Chaos, Mord und Totschlag?“ Dies ist lediglich eine gängige Verleumdung von Anarchie. Anarchie ist eine Organisierungsform des Zusammenlebens, die sich durch die Abwesenheit etwaiger Arten von Herrschaft auszeichnet und somit eine freie und solidarische Gesellschaft zum Ziel hat – kurz gesagt: das gute Leben für alle.


Die Idee des Anarchismus ist so alt wie die Menschheit selbst und womöglich die natürlichste Organisierungsform von uns Menschen. Nichtsdestotrotz wird uns immer wieder versucht weis zu machen, dass das bestehende System das bestmöglichste sei, obwohl es jeden einzelnen Tag scheitert…Auch wenn sie für sich selbst nicht alle den Begriff Anarchie verwenden, gibt es doch zahlreiche Beispiele von Organisierungsformen, die anarchistisch oder dem sehr nahe sind: Organisierung von Anarchist*innen im Spanischen Bürgerkrieg, Räterepublik in Deutschland, Waldbesetzungen, verschiedene indigene Völker, diverse Hausprojekte und und und…


Die Überwindung von Herrschaft ist der zentralste Aspekt des Anarchismus. Aber was verstehen wir unter Herrschaft eigentlich? Herrschaft beginnt nicht erst dort, wo sich Menschen über andere Menschen erheben, Befehle geben und ihren Willen explizit gewaltsam erzwingen. Sie beginnt viel früher und ist bedeutend umfassender und vielfältiger. Oftmals ist sie subtil. So ist es beispielsweise erlaubt keiner Lohnarbeit nachzugehen. Ist mensch allerdings nicht durch den Besitz von Vermögen oder andersweitig priviliert, bekommt mensch doch sehr schnell den Zwang in dem bestehenden System zur Lohnarbeit zu spüren: nahezu alles, was mensch zum Leben braucht kostet Geld, Auflagen etc. durch Arbeitsamt oder Jobcenter, soziale Ächtung und so weiter und so fort. Herrschaft kann also sowohl durch Personen, Gruppen als auch Systeme ausgeübt werden. So sind Patriarchat, Kapitalismus und sämtliche Diskriminierungsformen als (Stabilisierungs-)Formen von Herrschaft zu begreifen.Herrschaft ist nicht nur das Gegenteil von Freiheit, sondern auch überhaupt nicht erforderlich. Wer soll denn auch besser entscheiden können, was wir brauchen, tun und lassen sollen als wir selbst? Zwischenmenschliche Beziehungen, die von Vertrauen geprägt sind, sind stattdessen erforderlich. Zudem ist Eigenverantwortung und Solidarität unerlässlich. Nur so ist ein harmonisches Zusammenleben ohne Unterdrückung möglich. 


Mensch könnte jetzt fragen „Ja, das klingt ja alles schön und gut, aber ist das nicht etwas naiv? Ist das nicht ein hippiemäßig positiv verklärtes Menschenbild? Kann der sadistische Serienmörder dann so ohne Polizei nicht einfach machen was er will?“. Auch darauf gibt es anarchistische Antworten. Möglichkeiten im Umgang mit Konflikten und Gräueltaten sehen dabei bedeutend anders aus als in anderen Organisationsformen von Gesellschaften. 


Polizeien sind aus vielen Gründen strikt abzulehnen. So halten solche bspw. gewaltsam den Status quo aufrecht. Ein zentrales Problem ist auch, dass sie das Gewaltmonopol inne haben und durch diese Verstrickung im Staat faktisch auch nahezu unantastbar sind. Davon kann so manches Opfer von Copgewalt, was solche Körperverletzung zur Anzeige bringen wollte, ein Lied singen…


Kommen wir zu einem Erlebnis aus einer Disco, an dem sich beispielhaft aufzeigen lässt, wie die Dinge anders laufen können. Da war ein aggressiver, besoffener Typ, der eine Schlägerei eröffnen wollte. Bevor es soweit kam, war ein Mensch von der Security zur Stelle. Er baute sich vor dem Typen auf und der Typ tobte. Wider aller Erwartung kam es aber zu keiner Handgreiflichkeit. Geduldig, ruhig aber entschlossen sprach der Mensch von der Security mit dem Typen während jede*r Cop längst losgeprügelt hätte. Warum tat der Security-Mensch das aber nicht? Er wäre körperlich überlegen und im Handumdrehen auch zahlmäßig überlegen gewesen. Zum einen hätte eine körperliche Auseinandersetzung sicherlich nicht die Stimmung in der Disco angehoben und zum anderen müsste sich der Security-Mensch ebenso für Körperverletzung verantworten wie der besoffene Typ. So kam es zu einer gewaltfreien Lösung der Situation.


„Und was ist wenn wer Amok läuft?“ Das Ende des Gewaltmonopols bedeutet nicht das Ende von Gewalt. Wer bspw. wild um sich schießt lässt sich nicht unbedingt wie der Typ in der Disco mit Worten aufhalten. Das Privileg Pazifismus hat seine Grenzen. Irgendwann sind gewaltfreie Möglichkeiten ausgeschöpft. Dann ist Gewalt leider nötig. Die Fragen sind dann wofür, wie und wer die Gewalt einsetzen soll. Wofür? Um die unmittelbare Gefahr abzuwehren. Wie? Nur so weit wie unbedingt nötig. Wer? Das lässt sich je nach anarchistischer Organisierungsform, zu denen wir weiter unten im Text noch kommen, regeln. Wichtig ist, dass es kein Gewaltmonopol gibt und es stets um die Verteidigung der Werte geht und nicht darum sich in eine Machtposition zu manövrieren.Denkbar wären zum Beispiel Aufagben Verteilungen die auch eine Security beinhalten in rotierenden Räten oder Arbeitsgruppen. 


Wie soll der Umgang mit Vergehen im Weiteren aussehen? Straflogik ist die Antwort des derzeit herrschenden Systems. Die Praxis von Bestrafen durch Repressionen wie Freiheitsberaubung (Knast) sind nicht nur oft unmenschlich, sie bringen auch nicht wirklich was. Zum Zeitpunkt der Bestrafung ist das Vergehen bereits geschehen. Das Verbreiten von Angst durch das Statuieren von Exempeln zur Abschreckung ist nicht effektiv. Der Schaden des Opfers wird durch Bestrafung der Täter*innen  nicht geringer. Und den Täter*innen wird nicht die Möglichkeit sich zu bessern gegeben. Die Alternative zur Straflogik? Transformative Gerechtigkeit. Und vor allem vorbeugende Arbeit, die Diskriminierungs- und Unterdrückungsmuster, wie patriachale oder rassistischen Mustern entgegenarbeitet. Besonders wichtig dafür ist ein emotionales Versorgungs- und Auffangsystem beispielsweise in gemeinsam erarbeiteten Awarenesskonzepten und für Awarenessarbeit ausgebildete Gruppen. Ebenfalls eine wichtige Grundlage sind Räume, die auf Bedürfnisse einzelner Gruppen und deren Diskriminierungseefahrung ausgelegt sind sowie gemeinsame Bildungsarbeit sind ebenfalls wichtig. 


Ein weiterer Aspekt von Anarchie ist zum Beispiel das Abschaffen des Konstrukts von Eigentum in seiner aktuellen Form. Am Ende dieses Textes haben wir verschiedene weiterführende Materialien aufgelistet, die einen guten Einstieg in anarchistische Ideen ermöglichen.


Anarchistische Organisationsformen begegnen uns überall, ob in Demokratien, Diktaturen oder Autokratien. Anarchistische Organisierung, findet dabei immer trotz den Systemen drum herum statt, nicht aus ihnen heraus. Sie entstehen oft als Widerstand einer Gruppe von Menschen, um gemeinsam eine Alternative zu schaffen, politische Ziele zu erreichen, das System in dem wir leben zu verändern oder ganz abzuschaffen.Ende Gelände ist wohl eines der größten Bündnisse, die bei der Organisierung Ansätze der Graswurzelbewegung verfolgt. Im Graswurzelaktivismus lassen sich Formen von anarchistischen Ideen wiederfinden. Es gibt einzelne Ortsgruppen, die in Plena über ihre Arbeit entscheiden, sowie die Bundesebene, die zur Vernetzung, für größere Aktionen gedacht ist als auch für Abstimmungen was die gesamtpolitische Ausrichtung angeht. Wichtig dabei ist, dass die Bundesebene nicht automatisch hierarchisch in einer höheren Position steht. Die Ortsgruppen können unabhängig arbeiten und die Bundesebene ist grundsätzlich erst einmal für alle offen. Die Möglichkeit die Bundesebene zur Vernetzung zu haben, aber trotzdem unabhängig arbeiten zu können, ermöglicht eine große Freiheit und Vielfalt von Ergebnissen und trotzdem die Möglichkeit Unterstützung und Solidarität zu finden, sowie gemeinsam große Projekte auf die Beine zu stellen. Die Arbeitsweise von EG zeigt auf, dass Organisierung mit Hierarchieabbau und Kontrollabbau nicht nur möglich sondern auch verdammt effektiv  ist und stiftet zu Nachahmung an. Zudem bringt es den Vorteil mit sich nicht angewiesen sein auf die hierarchisch höher gestellte Person oder ein höher gestelltes Gremium. Somit bleibt auch beim Wegfall von beispielsweise Vorgesetzten die Handlungsfähigkeit erhalten.


Aber das ist natürlich nicht das einzige Beispiel für anarchistische oder anarchistisch ähnliche Organisierung. Linke Strukturen, wie andere Politgruppen, unabhängige Jugendzentren, Kochgruppen, linke Gewerkschaften und freie Radios etc. sind in den meisten Fällen möglichst hierarchiearm organisiert und von unten nach oben strukturiert. Das sind Strukturen, die über Jahrzehnte hinweg durch ihre Arbeit und Support Auffangbecken und Orte der Selbstorganisierung für linke und/ oder marginalisierte Menschen waren und sind. Durch ihre Möglichkeit der möglichst gleichberechtigten Beteiligung und Gestaltung konnten sie ihren eigenen Fortbestand und den der linken Bewegung sichern. Und auch wenn es um direkte Aktionen geht, dann sind es Plenumsstrukturen, die sowohl bei der Vorbereitung, in der Aktion selbst, oder in der Nachbereitung zur Anwendung kommen. Sie sorgen dafür, dass es die Aktion der beteiligten Menschen selbst ist und sie dementsprechend diese nach eigenen Grenzen und Bedürfnisse gestalten können. Auch können so Ziele gesetzt und situtioansabhängig geändert werden. Natürlich ist das auch nicht perfekt, ermöglicht aber, dafür, dass Aktionen möglichst gut funktionieren und vor allem, dass Menschen möglichst gut aufgefangen werden können. Ebenfalls ermöglicht es, dass kollektiv aus Fehlern gelernt werden kann und Gelerntes weitergegeben wird.Diese Form der Arbeit und des Lebens ermöglicht es in einem sehr krass kontrollierenden System, sich gegenseitig aufzufangen und zu supporten, genau so wie diesem entgegen zu arbeiten. Grund dafür ist, dass die Arbeitsweise darauf ausgerichtet ist, dass es eine gleichberechtigte Zusammenarbeit auf Grundlage von Bedürfnissen, Solidarität und Vertrauen anstatt von Kontrolle gibt.Und es ist etwas was auch in größerem Rahmen funktioniert, als System des Zusammenlebens selbst und nicht nur innerhalb eines hierarchischen Systems als Widerstand. Der Demokratische Konföderalismus in Kurdistan wäre ein Beispiel, da er von der Organisierung her große Schnittmengen mit anarchistischen Ideen hat.Diese Auflistung von Bespielen könnte noch lange fortgesetzt werden und beginnt bei genauem hinsehen oft im eigenen Leben. Beipielsweise die WG-Plena, vielleicht auch die gemeinsame Verwaltung des Hauses oder die gemeinsame Versorgung des Kleingartens. Anarchistische Organisierung ist überall und ergibt sich ganz natürlich aus dem Willen heraus, gleichberechtigt zusammen zu leben oder zu arbeiten. 


Es gibt nicht den einen Anarchismus und erst recht nicht einen Anarchismus für alle Umstände, Menschen, Gruppen, Lebensformen und Lebenssituationen. Im Gegenteil es gibt für alle Situationen die Möglichkeit zu schauen, welche Form von anarchistischem Leben und Organisieren die beste ist. Es ist die Grundidee, die zählt.Anarchistische Lebens- und Organisierungsentwürfe beginnen dort, wo angefangen wird Herrschaft, Hierarchien und Kontrolle zu reflektieren und abzubauen.Es gibt unterschiedlichste Strömungen und Ideen, wie das ausshen kann. Vom kollektivistischen oder kommunistischen Anarchismus, die einem herrschaftsfreien Kommunismus nahe sind bis zum Individualanarchismus, der auf große Freiheit aller Individuen ausgelegt ist und weniger auf organisierte Gruppen. Dieser Text soll keine Anarchistische Strömung aufdrücken, sondern aufzeigen, wie viele Möglichkeiten es gibt herrschaftsfrei zu leben. Es ist nicht notwendig, 80 Millionen Menschen, als Staat zusmamenzufassen, mit verhältnismäßig wenig Repräsentant*innen. Im Gegenteil, es könnte viele verschiedene kleinere Gesellschaften und Gruppen geben, die sich in verschiedenen anarchistischen Lebens- und/ oder Arbeitsgemeinschaften organisieren. Es kann Vernetzungen zwischen diesen Gruppen geben und Menschen, die sich nicht fest Gruppen anschließen möchten.


Wir wollen/müssen einen offenen Bruch mit dem Bestehenden erzeugen. Die Splitter von jenem sollen wie Konfetti durch die Luft fliegen! Wir sind keine Feind*innen der Demokratie – im Gegenteil! Sie geht uns nicht weit genug und die parlamentaristische Demokratie erst recht nicht. Lasst uns gemeinsam für Anarchie – das gute Leben für alle – kämpfen!


Nicht Wählen zu gehen ist natürlich keine sinnvolle Option. Es kann dazu dienen, dass die Politik weniger schädlich ist und dass das Wiedererstarken des Faschismus gedämpft wird – mehr aber auch nicht. Keine Partei vermag dieses System zu verändern, da sie selbst stets Teil von jenem sind, wie wir oben aufgezeigt haben.Was kannst du jetzt also tun? Bilde dich weiter. Lies Texte, gehe zu Vorträgen und Workshops. Organisiere dich. Tritt einer bestehenden Gruppe bei oder setz dich mit deinen Freund*innen zusammen und bilde selbst eine Gruppe. Teile deine Skills, Erfahrungen und dein Wissen.Und natürlich: Werde aktiv! Ob große Kampagne oder klandestine Kleingruppenaktion – die Ansatzpunkte sind schier unendlich. Lass uns die Welt verändern! Amore, anarchia, autonomia!
Weiterführendes MaterialIn diesem Text haben wir verschiedene Themen angeschnitten. Hier findest du frei zugängliches, weiterführendes Material:

  • Text darüber widerständig zu bleiben, Frust, Burn-Out und Verbürgerlichung zu vermeiden, aber auch für Neue ein guter Text über politische Lebensmodelle: „Stay Rebel“ https://stayrebel.noblogs.org/broschure/
  • Podacst über linkspolitischen Aktivismus und linkspolitische Strategien aus einer anarchistiachen Perspektive. Zudem noch einführende Informationen zu verschieden anrachistischen Strömungen: Übertage – der anarchstische Pottcast (zum Beispiel auf Spotify zu finden) 
  • Podcast bei dem verschiedene Orginal-Texte von Anarchist*innen kombiniert mit Cellomusik vorgelesen werden: Anarchie und Cello (unter anderem auf Spotify zu finden)
  • Zweiteilige Doku über die Geschichte der anarchistischen Bewegung „Kein Gott, kein Herr“ (Fokus liegt vor allem auf Männern und Europa): https://kurzelinks.de/is87

Quellen
1) https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/17321/demokratie/
2) https://taz.de/NRW-verschaerft-Polizeigesetz/!5555983/ 3) https://taz.de/Verschaerftes-Polizeigesetz-in-NRW/!5845664/

Derealisation oder Schneller inkompatibel werden

Dieser Text entsteht im Mai 2024. Die Ausgangsfrage ist einfach, eigentlich: Wie geht’s denn so, JETZT, als Aktivistin in Hannover, zuletzt in der Leinemasch, in der gerodet wurde. Aber nichts ist einfach, nichts ist einfach zu vermitteln.

Aber es gibt einen Start:

Es ist der 6. Mai 2024. Ich bin vormittags mit einem Menschen in der Leinemasch verabredet. Wir haben hier, wie so viele andere, ungesund viel Energie und Zeit im Kampf gegen das irre Weiter-so gelassen. Im Januar wurde trotzdem für die Verbreiterung des Südschnellwegs gerodet, gerade entsteht eine Baueinrichtungsfläche. Arbeiter*innen kampfmittelsondieren den für Tümpeltown namensgebenden Teich und pumpen ihn offenbar leer.

Tümpeltown war das ikonische Baumhausdorf zwischen Tümpel und Südschnellweg, in dem im Januar Dutzende Aktivisti ausgeharrt, die Rodung drei Tage lang hinausgezögert und ein fettes Ausrufezeichen hinter den Protest von Leinemasch BLEIBT gesetzt haben. Tümpeltown, der queerfeministische, utopische Erfahrungs- und Begegnungsort für so viele Menschen, ist im Wortsinn vom Erdboden verschwunden.

Wir sitzen im Baueinrichtungs-Naherholungsgebiet. Es blüht, es riecht nach Frühling. Der Mensch sagt einen Satz: Wir sind inkompatibel. Er meint nicht uns, sondern uns in der Welt.

Zu Hause, anschließend, kämpft mein Kind mit der Entscheidung, nach dem Sommer eigene Wege zu gehen oder die Oberstufe „durchzuziehen“, weil sich dann nach drei Jahren alle Zukunftsoptionen vor den Abiturient*innen erstrecken. Letzteres: ein mächtiges, ungebrochenes Schulnarrativ. Das Narrativ einer Welt, in der trotz allem alles irgendwie so weitergeht.

Später auf dem Weg zur Stadtbahn fühlt sich alles eine Spur verrutscht an. Als wäre die vertraute Straße heute Kulisse, irgendwie anders beleuchtet, alle Bewegungen etwas verlangsamt, entkoppelt. Das ist nicht schlimm oder übermäßig beängstigend. Die Welt zerfällt einfach in Kulisse und mich.

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Derealisation: […] ein Gefühl von Unwirklichkeit.
(nach ICD-10: F48.1)

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Es gibt dafür sogar einen Fachbegriff: „Derealisation“1. Was für ein Wort. Jenseits von Diagnosekatalogen transportiert es ein Grundgefühl: diesen Zustand, wie festgefroren einfach dazustehen und zu beobachten, wie das, was wir2 the world as we know it, was wir „Zivilisation“ oder „Zukunft“ nennen, in Zeitlupe von der Weiche springt, während wir auf eine Sommermärchen-EM hoffen, während Billie Eilish´s neues Album ungeduldig erwartet wird und während um Notendurchschnitte gerungen wird.

Dieses Gefühl war noch nie so überwältigend wie jetzt – aber wirklich neu ist es nicht. In meiner Erinnerung sind da diese Bilder aus Großbritannien, die ab Ende der 1980er Jahre die „mad cow disease“ (BSE) in die Tagesschau spülte, verrenkte Kühe wie von Sinnen, gigantische Rinder-Scheiterhaufen. Wirklich de-real dann das Danach: Zu verstehen und die Logik vor Augen zu haben, wie „Fleisch produzieren“ geht und deshalb aufzuhören Tiere zu essen, aber der Normalität gehäckselter rosa Tierhaufen als günstiges „Angebot“ nicht mal in Zeitungsbeilagen entkommen zu können.

Auch damals schon: Sprachlosigkeit. Weil es unmöglich ist, sich ernsthaft zu erklären, weil das bedeuten würde, Familie, Freund*innen, Fremde immer wieder beim Essen mit dem unerträglichen Grauen und Leid und auch ihrer Mittäter*inschaft zu konfrontieren. Und ungewollt steht da immer was mit Moral im Raum: „ich gut, du schlecht“. Auch in eigener Sache ist es unerträglich, sich bei jeder Frikadelle und jeder Scheibe Wurst auf anderer Menschen Teller selbst wieder bewusst zu machen, für welche Geschichte dieses Essen wirklich steht, angefangen beim gequälten Tier im verdreckten Stall und den Arbeitsbedingungen im Schlachthof bis hin zu all den Markt- und Lobby-Verstrickungen.

Das war Derealisation und Sprachlosigkeit Anfang der 1990er. Status: etwas mehr als 350 ppm – 350 CO2-Moleküle pro eine Million Moleküle in der Atmosphäre ist ein sicherer Wert. Es wäre so vieles noch möglich gewesen.

Ist das etwa ein Appell, vegan zu werden? Nein, oder? Oder doch? Was hat das mit dem Thema zu tun?

Derealisation Mai 2024, 426 ppm3, weiter steigend, ein Desaster. Zusehen, wie die 1,5 Grad erreicht sind, wie die world as we know it von der Weiche springt, während das „Standard-Essen“ in der Schulmensa, im Altenheim, im Krankenhaus immer noch das Essen mit Fleisch ist; während Rodungen, Flächenverbrauch, Artensterben, Treibhausgase, Antibiotikaresistenzen, Wasserverbrauch, Grundwasserprobleme4 wegen einer ungesunden Ernährungsform massiv dazu beitragen, planetare Grenzen5 zu überschreiten. Und während ein Mensch am Tisch spöttisch fragt: „Und macht das jetzt irgendeinen Unterschied, ob du das hier isst oder nicht?“

Es wäre so unglaublich einfach gewesen, diesen Anteil an der Katastrophe – nicht-pflanzliche Ernährung – zu transformieren. Anders als bei Energie, Verkehr oder Industrie hätte es keine neue Infrastruktur gebraucht. Wir hätten einfach aufhören können.

Müsste hierdenn nicht irgendwo auch stehen, dass sich total viel schon verbessert hat? Wie viel tolle vegane Döner es mittlerweile gibt? Ja? Nein?

Worum geht es denn jetzt eigentlich? Um Fleisch!? Oder um die Klimaziele? Um die Ideen vermummter Aktivist*innen in Baumhäusern, um die gerodeten Bäume, um das Naherholungsgebiet, um zu viel Verkehr?

Es geht um alles. Um das Unvereinbare, das Unsagbare. Menschen tauschen Worte aus, ohne zu verstehen, dass diese Worte Bedeutungen haben, die zu unterschiedlichen Universen gehören. Schon eine „Bratwurst“ – für den einen nur lecker, für die andere ein Schmerz auf unendlich vielen Ebenen.

Worum es jetzt geht, ist so groß, so unerträglich, dass ich immer wiede stille Momente und auch die Fakten vor mir brauche, um wirklich bei dem anzukommen, was ich weiß. Welcher Satz kann das transportieren? Das Unausweichliche, die Schuld denen gegenüber, die durch Hitze sterben, auf der Flucht ertrinken, verhungern, flüchten, Todesangst haben. Die Wut denen genüber, die bis zuletzt ihre Geschäfte machen.6 Die Trauer um alles, was mal lebendig und was gewesen sein wird.

Sie fühle sich „hopeless and broken“, hat Ruth Cerezo-Mota aus Mexiko gesagt, der Guardian hat sie am 8. Mai in einer langen Geschichte zitiert, sie ist eine von 380 befragten Top-Klimawissenschaftler*innen aus aller Welt.7

Danebenstehen und das Klima erforschen, ein Leben lang; modellieren, wie die world as we know it von der Weiche springt, in jedem IPCC Bericht Tausende Seiten Analyse, Lösungen, Appelle schreiben, dazu ein Summary for Policymakers8, das Policymakers nicht lesen. Policymakers planen stattdessen neue LNG Terminals, sichern sich dafür in der Welt Fracking Gas, das in Deutschland verboten ist, und bauen beheizte Rohöl-Pipelines quer durch Afrika.9 Weil sie nicht rauskommen aus der Zerstörungsmaschine. Hopeless and broken. Derealisiert.

Hoffnungslos. Das Klima, das Wetter, das Leben auf der Erde wird bis auf weiteres jedes Jahr noch schlimmer werden, mindestens so lange, bis keine weiteren Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gehen.10 Also frühestens wenn keine – also keine – fossile Verbrennung mehr stattfindet und zusätzlich etwa Moore vernässt und sehr viel weniger Tiere gegessen werden11, könnte es auf dem dann erreichten Niveau von „katastrophal“ bleiben – sofern bis dahin noch nichts gekippt ist. Also womöglich in einigen Jahrzehnten. Ist das realistisch?

Weidel (AfD) kämpft für Schnitzel, Merz (CDU) kämpft für deutsche Verbrenner, Lindner und Wissing (FDP) kämpfen für das Recht auf Gasheizung und tempolimitfreie Fahrt auf neuen Autobahnen. Gemeinsam kämpfen sie angeblich für das Recht des kleinen (deutschen) Mannes, dass alles so bleibt wie immer. Vereint im neokolonialen Anti-Klimaschutz-Anti-Zukunft-Märchenerzählen-Populismus.

Und in Niedersachsen kämpft Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) nach dem Süd- jetzt auch am Westschnellweg weiter für die Tradition, Straßen für mehr Verkehr breiter zu planen. Der Verkehr, findet er, ist nun mal da. Er glaubt, dass die Klimaziele (Niedersachsen klimaneutral ab 2040) allein mit E-Mobilität erreicht werden können. Was sind schon Fakten. 12

Der populistische Weg ist verlockend, auch bei der Schuldfrage. Wenn alles – siehe oben – immer schlimmer wird, liegt es dann eben an Migrant*innen und sogenannten Bügergeldschmarotzer*innen und dem ganzen linksgrünwoken Protest-Siff, die alle zusammen abgeschoben, gemaßregelt und kriminalisiert werden müssen. Damit alles so weitergehen kann mit Lobby-Verstrickungen, Superreichen und einem alles verschlingenden Kapitalismus, der unverdrossen mit Wachstums-Rufen angefeuert wird.

Ich stehe da und verstehe, dass die 1,5 Grad durch sind; der Juni kommt, aber ich werde nie wieder mit ungetrübter Erwartung auf Sommer, Ferien, laue Abende, Tage am See blicken. Sondern mit Sorge und Unruhe. Bringt er noch mehr Hitze? Mehr Brände? Mehr Fluten? Tausende Tote oder Millionen Tote? Werden die Nächte auch in Hannover viel zu heiß? Ich sehe, dass Menschen in Indien und Pakistan nie dagewesene Hitze erleiden13, was viele Medien gar nicht mehr auf die Agenda nehmen, weil sich alles in der Aufmerksamkeits-Ökonomie abnutzt: auch immer neue Temperaturrekorde, auch immer mehr Menschen, die tödlichen Bedingungen ausgesetzt sind. Ich sehe Skandale der „Klimaschmutzlobby“, die nicht zum Skandal werden, weil es dafür keinen öffentlichen Raum mehr gibt, weil wir alle vom Algorithmus maßgeschneidert bespielt werden und auch längst keine Kriegs- und Krisen-Kapazitäten mehr haben. Empathie ist aus.

Die Welt wie wir sie kannten ist von der Weiche gesprungen.

Jetzt ist da nur noch eine Welt, die als Lebensort für Menschen stirbt.

***

Noch stehen die alten Kulissen. Von Rentenbescheid bis Autobahnbau, von Bärchenwurst bis Wirtschaftswachstum-Wahlslogan, von Karriereplan bis Einkaufszettel.

***
Derealisation: Die Betroffenen […] empfinden die Umgebung wie eine Bühne, auf der jedermann spielt.
***

So what?

Nur eine Idee: Derealisation für alle. Mehr Mut, inkompatibel mit der Show zu werden, in der weiter die Bilder einer Welt wie wir sie kannten laufen; stattdessen so lange auf die Bühne zu starren, bis die Kulissen flirren und verschwinden. Noch mehr Mut, um die Welt, die stirbt, sehen und aushalten zu können – und Abschied zu nehmen. Mut und Phantasie, um herauszufinden, was jetzt zu tun ist, für jede*n einzelne*n, um das Sterben so gut es geht zu gestalten, solidarisch und gerecht.

Wenn wir viele sind, hören wir auf, inkompatibel und sprachlos in der Welt zu sein. Wenn wir viele sind, könnten wir mit dem Weiter-so der Horror-„Normalität“ brechen und eine eigene Geschichte erzählen, die gehört wird – und sie nicht den Populisten und Faschisten überlassen.

Nein, das ist kein Happy End, Happy End ist jetzt nicht mehr im Angebot.

1ACHTUNG: Die Analogien in diesem Text zitieren aus der verlinkten Beschreibung zur „Derealisation“, beziehen sich aber explizit nicht auf reale Erkrankungen oder medizinische Diagnostik! Bitte holt euch ärztlichen Rat, wenn ihr den Eindruck bekommt, dass ihr von dieser Diagnose im medizinischen Sinne betroffen seid.

2Mit „wir“ fasse ich hier Menschen in Deutschland zusammen, die ausreichend privilegiert sind, um sich als Teil einer durch allgemeine Medien geschaffenen Öffentlichkeit verstehen zu können.

3täglich aktualisierte Werte unter https://www.co2.earth/daily-co2

4https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/ernaehrung-konsum/fleisch/der-appetit-auf-fleisch-und-seine-folgen/

5https://www.pik-potsdam.de/de/produkte/infothek/planetare-grenzen

6Millionenschwere Klimaschutzprojekte von Mineralölkonzernen in China existieren offenbar nur auf dem Papier:https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/unternehmen/shell-rosneft-omv-betrug-verdacht-klimaschutz-100.html

7https://www.theguardian.com/environment/ng-interactive/2024/may/08/hopeless-and-broken-why-the-worlds-top-climate-scientists-are-in-despair

8https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr/summary-for-policymakers/

9https://eacop.com/ und Kritik etwa von Amnesty https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/uganda-tansania-repression-protest-gegen-pipeline-oel-und-schlaege

10Was passiert, wenn die CO₂-Emissionen aufhören? https://www.sueddeutsche.de/wissen/klimawandel-erderwaermung-co2-netto-null-emissionen-forscher-berechnungen-1.6303583

11Studie zu den Voraussetzungen und Möglichkeiten, in Deutschland bis 2045 klimaneutral zu werden https://ariadneprojekt.de/publikation/energiewende-auf-netto-null-passen-angebot-und-nachfrage-nach-co2-entnahme-aus-der-atmosphaere-zusammen/

12„Die Klimaschutzziele lassen sich bei Weitem nicht allein durch einen Anstieg der Zulassung batterieelektrischer Fahrzeuge erreichen.“ (S. 19) https://www.fgsv-verlag.de/e-klima-2022 und https://fridaysforfuture.de/studie/schluesselergebnisse/

13Extremhitze in Indien – 33 Wahlhelfer sterben an Hitzeschlag, https://www.t-online.de/klima/leben-umwelt/id_100418474/klimawandel-33-wahlhelfer-in-indien-sterben-an-hitzeschlag.html

Hintergrund und Geschichte von Tümpeltown

Politik & Wirtschaft wollen mitten in der Klimakrise 16 Hektar Wald im Landschaftsschutzgebiet Leinemasch in Hanover vernichten. Warum? Um den Südschnellweg um 10 m auf die Breite einer Autobahn auszubauen, statt verantwortungsbewusst Maßnahmen für eine klima- und sozialgerechte Mobilitätswende zu ergreifen. Anschauliche Infos zum geplanten Ausbau findet ihr bei Leinemasch BLEIBT: https://leinemaschbleibt.de/infotour/
Das ganze blieb und bleibt nicht unkommentiert. Seit Jahren protestieren verschiedenste Gruppen https://tuempeltown.blackblogs.org/2023/07/05/in-der-leinemasch-aktive-gruppen-ubersicht-distanzierung-von-der-bi/ gegen dieses irrsinnige Projekt. Die Aktionsformen reichten dabei von Klagen, Petitionen, Eilanträgen, Fahrraddemos mit tausenden Teilnehmenden, diversen regelmäßigen Infospaziergängen, Vorträgen, Mahnwachen, einer Blockade des Südschnellwegs und vielem mehr, bis hin zu einer symbolischen Probebesetzung als Kampfansage. Es wurde viel Öffentlichkeit, Aufklärung, Vernetzung und Diskurs geschaffen. Da Politik & Wirtschaft nichtsdestotrotz aufgrund ihrer kapitalistischen Interessen weiter an der geplanten Zerstörung und dem Ausbau festhalten, besetzte die Ende-Gelände-Ortsgruppe Hannover in der Nacht vom 30.09. auf den 01.10.2022 Bäume in der Leinemasch – das Barrio Tümpeltown war geboren. Wider den Erwartungen, innerhalb von drei, vier Tagen geräumt zu werden, besteht die Besetzung bis heute. Der Bau von Baumhäusern begann und es wird fortwährend ausgebaut, repariert und umgebaut – stets unterstützt von Leinemasch BLEIBT, bis Ende November auch durch eine Dauermahnwache. 
Im Herbst kam überraschend Olaf Lies, der niedersächsische Verkehrsminister, kurz nach der Landtagswahl ins Barrio, als die Rodung bevorstand. Da er keine unschönen Bilder durch eine Räumung wollte, bliebe zumindest Tümpeltown entgegen der ursprünglichen Planung für diese Rodungssaison verschont. Bald darauf war es so weit. Die Mahnwache, als Unterstützung, wurde vom ursprünglichen Standpunkt wegbeauflagt und eine polizeistaatliche Verbotszone verkündet. Die bewaffneten Handlanger*innen von Politik & Wirtschaft bzw. die Cops fuhren aus einer Mischung aus Machtdemonstration und Paranoia alles Erdenkliche auf Kosten der Steuerzahler*innen auf: über tausend Cops, eine Pferdequälstaffel, Klettereinheiten, Einzäunung mit Hamburger Gittern, eine „Behandlungsstraße“, durchgehende Ausleuchtung des Waldes durch das THW, welches eigentlich für Katastrophenschutz zuständig ist und sich hier mal wieder für das Gegenteil missbrauchen ließ, unzählige Cop-Karren und ein Polizeiboot (zu einer Baumbesetzung wohlgemerkt)…Nicht auf das Wort eines Politikers vertrauend waren wir auf eine Räumung gefasst und hielten Tümpeltown entsprechend besetzt. So wurden wir Zeug*innen davon, wie für Kapitalinteressen zig Bäume und Sträucher von der Schützenallee beidseitig des Schnellwegs bis direkt vor unser Barrio zerstört wurden – mitten in der Klimakrise. Eine*r von uns erklomm den angrenzenden Sportplatzzaun und unterbrach so die Harvester, welche eine Schneise durch die Leinemasch fraßen und eine trostlose Mondlandschaft hinterließen. Mit unserer Besetzung konnten wir eine weitreichendere Rodung, wie ursprünglich geplant, verhindern und es gibt noch viel zu verteidigen und erkämpfen!
Die Cops verpissten sich wieder und einige Zeit später lud Olaf Lies verschiedene Akteuer*innen zu einem Runden Tisch / Expert*innenrunde ein, um zu ergründen, wie es mit dem Projekt Südschnellweg weitergehen solle. Was es damit eigentlich auf sich hatte, brachte Eric Oehlmann, der Präsident der niedersächsischen Landesstraßenbaubehörde, auf den Punkt als er dieses Unterfangen öffentlich ganz unverhohlen als „genau den richtigen Ansatz um Akzeptanz für dieses Projekt […] zu erzeugen“ lobte. Um am Ende sagen zu können „Wir haben mit allen Seiten gesprochen…“ wurde vermeintliche Teilhabe an der Entscheidung, wie es weitergehen soll, suggeriert. Der Erhalt von Klima und Umwelt ist nicht verhandelbar und eine radikale klima- und sozialgerechte Mobilitätswende zwingend erforderlich! Deshalb nahmen wir die Einladung nicht an. Nachdem schon in der ersten Sitzung klar wurde, dass der Punkt Klimaschutz nur unter ferner liefen besprochen werden würde, verließ auch Leinemasch Bleibt den Runden Tisch. Nur das Bündnis gegen den Ausbau des Südschnellwegs  versuchte weiter hart in diesem Gremium für Vernunft und Übernahme von Verantwortung seitens Politik & Wirtschaft zu arbeiten. Nichtsdestotrotz war das Ergebnis leider wie zu erwarten: Der Ausbau soll wie geplant durchgeprügelt werden. Der Protest geht also weiter!
Die erste Rodungssaison ging somit vorbei und die Baufirma Porr hat zusammen mit der Abrissfirma Hagedorn zwei Container-Burgen an der Schützenallee errichtet und mit dem Bau der Behelfsbrücke für den Tunnelbau begonnen. Aber auch wir blieben nicht untätig. Tümpeltown ist inzwischen mehr als ein Ort des Widerstands. Tümpeltown ist ein offener Freiraum und somit ein Ort für verschiedenste Veranstaltungen, hierarchiefreies Zusammenleben, politische Aktionen, Lernen & Skillsharing, Politisieren, Chillen, Bauen, Vernetzen und freier Gestaltung für alle, die keine Faschos, Macker oder Cops sind und sich mit unseren Werten identifizieren können. Seit Sommer haben wir zudem Verstärkung von Egon und Gerda bekommen. Diese beiden Biber haben seither im Tümpel, der namensgebend für unsere Besetzung ist, ein Zuhause gefunden, wie unsere monatelangen Wildkameraaufnahmen beweisen. Gemeinsam kämpfen wir für das Ende von Kapitalismus, Staat, Patriarchat, Herrschaft, Rassismus und  Diskriminierung! Am 1. Oktober 2023 waren über 6.000 Menschen für die Leinemasch auf der Straße und Ende Gelände hat zeitgleich mit der Besetzung der Südschnellweg-Baustelle das fossile Weiter-so eindrucksvoll unterbrochen. Seitdem befinden wir uns wieder in der Rodungssaison. Räumung und Rodung drohen somit akut. Also komm bereits jetzt dazu und besetze mit! Leinemasch bleibt!

+++ Der Ausbau des Südschnellwegs stabilisiert globale Machtgefälle! +++

Gründe warum eine mittelfristige Nutzung von Straßen für den Individualverkehr und deren Ausbau, globale Machtgefälle, z.B. neokoloniale Strukturen und Rassismus stabilisieren:

– Rohstoffabbau/ Gewinnung für alle Autos: Verbrenner, wie E-Autos und Wasserstoffautos sind auf neokoloniale Strukturen angewiesen. (Ohne Ausbeutung von Mensch und Natur in Ländern die von Europa kolonialisiert waren, wären Rohstoffe und damit Autos nicht bezahlbar.)

– Die Produktion von Autos, die in der EU genutzt werden, passiert zu einem großen Teil in osteuropäischen, (Nicht-EU-) Ländern, unter schlechten Arbeitsbedingungen. Damit werden Machtgefälle zwischen Ost und West aufrecht erhalten.

– Die Automobil- und Bauindustrie sind wichtige Stützen des Kapitalismus. Da der Kapitalismus maßgeblich aus kolonialen Strukturen hervorgegangen ist und nur dank neokolonialer Strukturen fortbestehen kann, ist es ein zutiefst rassistisches System.

– Kapitalismus ist einer der wichtigsten Motoren für die Klimakrise und – da auf Ausbeutung und Neokolonialismus angewiesen – der wichtigste Grund für Klimaungerechtigkeit.

– Der Verkehrssektor und davon der Individual- verkehr sind für einen großen Teil des CO2-Ausstoßes im Globalen Norden verantwortlich. Dies weiter auszubauen verschärft die Klimakrise und Klimaungerechtigkeit, da die Folgen am stärksten Menschen im Globalen Süden treffen.

Solidarität an alle Menschen, die von rassistischen, neokolonialen Strukturen unterdrückt werden sollen. Solidarität an alle schon immer dagegen Kämpfenden! Danke, dass wir Konzepte von euch lernen konnten! Kampf allen neokolonialen Strukturen! Gegen jeden Straßenausbau!

Links für weiterführende Informationen:

1. Rohstoffe: https://kurzelinks.de/4aac, https://kurzelinks.de/3ybx, https://kurzelinks.de/x91t

2. Produktion: https://kurzelinks.de/r75z

3. Kapitalismus und (Neo-) Kolonialismus: https://kurzelinks.de/hbaq

4. Kapitalismus und Klimakrise: https://kurzelinks.de/32aj, https://kurzelinks.de/ku9p

(gut fürs System-Verstehen, aber bietet keine Lösungsansätze und ohne ganzheitlich kritischen Blick)

5. Kapitalismus, Automobilindustrie und Klimakrise: https://kurzelinks.de/auj

#KapitalismusIstKlimaterrorismus

Alarmstufe: «gelb» 🟨 Wir befinden uns in der Rodungssaison!

(Erläuterungen zum Alarmsystem: https://kurzelinks.de/kmes)

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English Version:

+++ The expansion of the Southern Expressway stabilizes global power imbalances! +++

Reasons why the use of roads even in medium-term for private transport and their expansion stabilize global power imbalances, e.g. neo-colonial structures and racism:

– Raw material mining/ extraction for all cars: combustion engines, such as e-cars and hydrogen cars rely on neocolonial structures. (Without the exploitation of people and nature in countries that were colonized by Europe, raw materials and therefore cars would not be affordable).

– The production of cars that are used in the EU takes place to a large extent in Eastern European (non-EU countries) under poor working conditions. This maintains power imbalances between East and West.

– The automotive and construction industries are important pillars of capitalism. Since capitalism has emerged largely from colonial structures and can only continue to exist thanks to neo-colonial structures, it is a deeply racist system.

– Capitalism is one of the most important drivers of the climate crisis and, because it relies on exploitation and neo-colonialism, the most important cause of climate injustice.

– The transportation sector, including private transport, is responsible for a large proportion of CO2 emissions in the Global North. Expanding this further exacerbates the climate crisis and climate injustice, as the consequences hit people in the Global South the hardest.

Solidarity to all people who are to be oppressed by racist, neo-colonial structures. Solidarity to all those who have always fought against it!

Thank you for allowing us to learn concepts from you!

Fight all neo-colonial structures!

Against all road expansion!

Links for further information in next comment:

1. raw materials: https://kurzelinks.de/4aac, https://kurzelinks.de/3ybx, https://kurzelinks.de/x91t

2. production: https://kurzelinks.de/r75z

3. capitalism and (neo-)colonialism: https://kurzelinks.de/hbaq

4. capitalism and the climate crisis: https://kurzelinks.de/32aj, https://kurzelinks.de/ku9p

(good for understanding the system, but offers no solutions and lacks a holistic critical view)

5. capitalism, the automotive industry and the climate crisis: https://kurzelinks.de/auj

#CapitalismIsClimateTerrorism

Alert level: „yellow“ 🟨 We are in the deforestation season!

(Explanation of the alarm system: https://kurzelinks.de/g8im)

Tümpeltown – nur eine weitere Räumung einer Besetzung?

First things first: Ob wir hier geräumt werden, wird sich erst noch zeigen! Widerstandslos werden wir hier nicht abziehen, wenn die fossilen Ausbaupläne nicht gestoppt werden!

Aber: Wir haben die Räumungen von Heibo, Fecher, Lützi und so vielen andere Besetzungen erlebt. Was bedeutet eine mögliche Räumung für uns in Tümpeltown und für uns als Bewegung überhaupt?

Die Geräusche der Zerstörung der Harvester, die prügelnden Cops, die Kälte des Winters, die GeSa-Zellen und Repressionen – all das kennen wir. Aber was bedeutet das? Bauen wir Utopien auf um sie dann vom Staat zerstören zu lassen? Was erreichen wir mit diesem Protest und der Protestform (Wald-)Besetzung überhaupt? Oder kurz gesagt: Lohnt es sich? Lohnt es sich all die Zeit, Kraft und Liebe in solche Projekte zu stecken und dabei noch die eigene Gesundheit und Freiheit aufs Spiel zu setzen?

Die meisten Besetzungen werden früher oder später geräumt. Ist das als Scheitern zu begreifen? Manche Menschen sprechen von einem „produktivem Scheitern“ der linken Bewegung im Allgemeinen. Dabei wird das eigentliche Ziel nicht erreicht, aber dafür zumindest ein Teilgewinn erzielt. Da wird als ein Beispiel das Frauenwahlrecht aufgeführt. Der Protest, der dem voraus ging, strebte weitaus mehr an als ein Wahlrecht – es ging um das Ende des tödlichen Patriarchats, wofür wir nach wie vor kämpfen. In unserem Kontext hier könnte „produktives Scheitern“ zum Beispiel so aussehen, dass die Zerstörung der Leinemasch und der Ausbau des Südschnellwegs wie geplant durchgeprügelt werden und dafür aber der Westschnellweg, der aktuell als nächstes dran sein soll, doch nicht ausgebaut wird. Klar, „produktives Scheitern“ ist besser als reines Scheitern, aber dabei sollten wir in meinen Augen nie vergessen, dass Teilzugeständnisse seit jeher dem fossilen System als Mittel dienen um Protest zu befrieden, zu assimilieren, zu spalten und somit zu entschärfen, sodass es, wie gehabt, fortbesteht.

Ich aber gehe nicht für Teilerfolge auf die Straße beziehungsweise in die Bäume. Ich kämpfe hier für eine von Kapitalismus, Staat, Patriarchat, Herschaft, Rassismus und etwaiger Diskriminierung befreite und solidarische Gesellschaft. Die Leinemasch für eine sozial- und klimagerechte Mobilitätswende zu verteidigen ist daher eine logische Konsequenz für mich. „Hast du den Kopf in den Wolken? Bleib doch mal realistisch!“ sagt mir da eine Stimme in meinem Kopf bei diesem zweifelsfrei hoch gestecktem Ziel. Ich aber bin davon überzeugt, dass Aktivismus weder sinnvoll noch nachhaltig sein kann, wenn er reformistisch statt revolutionär und intersektional ist. Wir brauchen keine sympotomatische Behandlung der Gesamtscheiße bzw. Reformismus des Systems. Damit brennen wir uns bloß aus. Wir müssen dieses System mit all seinen oben genannten Bausteinen einreißen und gemeinsam etwas neues aufbauen. Nur so kann das gute Leben für alle möglich werden. Der Kampf für eine befreite und solidarische Gesellschaft hat unzählige Schauplätze. Meiner ist die die Leinemasch.

Bei solch großen und komplexen Zielen ist es schwer Erfolge des Protests zu erkennen. Wir sind als Bewegung unfassbar schlecht darin eigene Erfolge anzuerkennen und zu feiern. Wie wenige kennen beispielsweise den Erfolg der Besetzung Acker Bleibt? Das gilt auch für die vielen kleinen Erfolge, da sie oft gar nicht erkennbar, aber vorhanden sind. Hat mein Kletterskillshare vielleicht zur Politisierung der Teilnehmenden beigetragen? Die Erfahrungen, die Skills und das Wissen, was wir in solchen Besetzungen erlangen sind solche Erfolge – Erfolge, die uns kein Cop der Welt mehr nehmen kann.

Im Endeffekt ist es eine Gratwanderung zwischen Erfolge anerkennen und feiern und sich gleichzeitig dabei aber auch nicht selbst zu belügen und das Ziel Systemchange nicht aus den Augen zu verlieren. Was wir mit Besetzungen wie Tümpeltown im Detail erreichen, wissen wir naturgemäß erst hinterher.

Sollte Tümpeltown fallen und die Leinemasch zerstört werden, wäre das ein Befeuern der Klimakrise, ein weiterer Angriff auf Biodiverisität und Umwelt, das Gegenteil einer sozial- und klimagerechten Mobilitätswende oder kurz gesagt ein derber Schlag ins Gesicht unserer Mitmenschen im Globalen Süden sowie kommender und junger Generationen überall.

Neben einem solchen fossilen Weiter-so, würde damit aber auch ein Freiraum, ein Zuhause und ein Ort der Bildung zerstört werden. Gewalt, Repressionen, Verletzungen und Trauma sind nicht selten die Folge von Räumungen. Unsere Bewegung wäre ohne Tümpeltown um einen widerständigen Ort ärmer.

Lohnen sich Waldbesetzungen also oder nicht? Stehen mögliche Erfolge und mögliche negative Konsequenzen in einem gescheiten Verhältnis zueinander? Auch hier gibt es nicht die eine Antwort. Das muss jede*r individuell für sich selbst beantworten, da es ja auch unterschiedlich ist, mit was für einer Zielsetzung mensch Teil der Besetzung ist.

Meine persönliche Antwort ist ganz klar: Waldbesetzungen lohnen sich. Klar lief und läuft hier längst nicht alles so, wie wir es uns wünschen, aber ganz gleich, wie es mit Tümpeltown ausgehen mag, wir haben schon so unfassbar viel erreicht! Wir haben weitaus mehr als Aufmerksamkeit und politische Diskurse erreicht. Eigentlich sollte Tümpeltown bereits in vergangenen Rodungssaison geräumt und zerstört werden, aber unser Protest konnte dies verhindern. Wir haben gezeigt, dass Widerstand Erfolg haben kann – auch wenn er gewaltfrei ist. Wir haben über das vergangene Jahr hinweg mehr als ein Ort des Widerstands geschaffen. Wir haben hier in Hannover einen offenen Freiraum aus dem Nichts geschaffen, einen Ort, wo wir ein hierarchiefreies Leben abseits der Mehrheitsgesellschaft erproben, ein Zuhause, ein Ort für Skillshares, Bildung und Selbstreflexion, ein Ort der Vernetzung und auch ein Ort für geselliges Beisammensein. Wir haben uns und andere politisiert und Skills zur entsprechenden Selbstermächtigung an die Hand gegeben und so vieles mehr… All das sind Erfolge, die uns keine*r mehr nehmen kann!

Ganz gleich wie die Geschichte von Tümpeltown weiter geht, wir werden weitermachen! Wir machen nicht nur weiter, weil wir die Verantwortung, der sich Politik & Wirtschaft verweigern, tragen. Wir machen weiter, weil wir im Gegensatz zu dem fossilen System eine Perspektive kennen, für die wir kämpfen werden!

Das Ende ist offen. Also lasst uns kämpfen! Leinemasch bleibt!

[Anmerkung: Dieser Text wurde am 06.10.2023 verfasst und stellt die Sicht einer Einzelperson dar und spricht somit nicht für alle in Tümpeltown.]

Statement zum heißen Herbst

Mit unserer Auftaktveranstaltung am 18.09.23 haben wir gemeinsam mit Leinemasch BLEIBT, Fridays for Future und Ende Gelände auf der Bühne und noch mehr Gruppen im Rücken klar gemacht, dass wer Straßen sät, Protest ernten wird! Bei der Pressekonferenz war der Saal randvoll und auch der Markt der Möglichkeiten, wo Menschen sich informierten und vernetzten, war ein voller Erfolg!

Hier eine Zusammenfassung: https://leinemaschbleibt.de/der-herbst-wird-heiss-in-hannover

Hier das Video von unserem Statement: https://kurzelinks.de/gyn3

Hier das Statement als Text:

Die Klimakrise wird nicht kommen, denn sie ist längst da.

So besetzen wir seit circa einem Jahr die Bäume der Leinemasch, denn die Klimakatastrophe wütet. Insbesondere im globalen Süden sorgt sie bei unseren Mitmenschen bereits jetzt für Leid, Flucht und Tod.

Ist es da nicht komplett zynisch, dass es hier Leute noch wagen darüber zu diskutieren, ob Straßen ausgebaut werden und sich damit in den Neokolonialismus einreihen? Hier emittieren und profitieren – dort zerstören und ausbeuten. Die Greenwashing-Scheinlösung E-Autos sind da übrigens auch ein gutes Beispiel für sowie die rückschrittliche Fortführung von Individualverkehr…

Beim geplanten Ausbau des Südschnellwegs geht es um weitaus mehr als ein Naherholungsgebiet, gigantische Steuerverschwendung, Flächenversieglung, Zerstörung von Fahrradwegen und auch um mehr als die 16ha Wald, die wir jetzt mehr brauchen als je zuvor.

Es geht darum, dass hier das tödliche kapitalistische System seine hässliche Fratze ganz unverhohlen in verschiedensten Facetten zeigt.

Es wird nicht einmal, wie sonst oftmals, so getan als wäre irgendwer in Politik & Wirtschaft um eine Mobilitätswende – geschweige denn um eine sozial- und klimagerechte Mobilitätswende – bemüht.

Stattdessen sollen mitten in der Klimakrise weiter Straßen wie der Südschnellweg ausgebaut werden und somit weiter Öl ins bereits lodernde Feuer gekippt werden. Wofür? Allein dafür, dass sich Kapitalist*innen von Straßenbau und insbesondere der Automobil-Industrie durch den Staat und seine Politik sowie uniformierten Schläger*innen noch weiter bereichern können.

Dabei scheint es auch überhaupt keine Rolle zu spielen, dass so ein wertvolles Biotop wie die Leinemasch zerstört werden soll, obwohl wir uns im größten Artensterben seit dem Aussterben der Dinosaurier befinden. 150 ganze Arten sterben jeden einzelnen Tag. So soll es auch unseren Bibern ergehen. Ciao, ciao Egon & Gerda…

Ironischer Weise würde tatsächlich auch die Verkehrssicherheit sowie der Verkehrsfluss auf dem Südschnellweg durch den Ausbau reduziert statt verbessert werden.

Der Punkt ist, dass der Südschnellweg-Ausbau, wie auch Polizeigewalt, kein Einzelfall ist. Er ist nur ein Beispiel von vielen. So wird bereits mit dem Ausbau des Westschnellwegs gedroht. Das Problem liegt aber noch viel tiefer als die von der Auto-Lobby kreierten Ausbaupläne. Das Problem ist das zugrundeliegende System.

Gemeinsam sorgen wir dafür, dass Systemchange not Climatechange mehr als nur eine Parole ist! Wir haben es satt an Politik & Wirtschaft zu appellieren und wir haben es satt uns an reformistischer symptomatischer Behandlung der Gesamtscheiße abzuarbeiten. Wir kämpfen für eine von Kapitalismus, Staat, Patriarchat, Herrschaft, Rassismus und etwaigen Diskriminierungsformen befreite und solidarische Gesellschaft! Nur wenn wir diese Bausteine des Systems einreißen und zertrümmern haben wir eine Chance. Nur so ist das gute Leben für alle möglich! Und es ist möglich! So ist auch unser Kampf gegen den Ausbau des Südschnellwegs intersektional.

Klimagerechtigkeit ist dabei eine unverhandelbare Existenzfrage für uns alle. Somit sind wir dazu gezwungen die Verantwortung tragen, da es Politik & Wirtschaft offenkundig nicht tun. Klimaschutz reicht dabei nicht. Es braucht Klimagerechtigkeit und somit eine Mobilitätswende, die sowohl sozial- als auch klimagerecht ist.

Dafür sind wir hier. Dafür besetzen wir die Bäume der Leinemasch. Dafür werden wir uns der Zerstörung trotz der drohenden polizeistaatlichen Repressionen und Gewalt der Cops in den Weg stellen. Dafür steht Tümpeltown. Und wir stehen hier nicht alleine! Gemeinsam werden wir uns der fossilen Scheiße in den Weg stellen!

Wir sind dabei unendlich dankbar für alle, die mit uns zusammen kämpfen und unendlich dankbar für alle, die uns unterstützen – seien es Anwohnende, die uns Material spenden oder die Menschen in Berlin, die in genau diesem Moment in der Rigaer Straße eine Mobi-Veranstaltung auf die Beine stellen. Anders geht es auch gar nicht. Alleine wären wir nie so weit gekommen. Aber wir sind nicht alleine!

Es liegt in der Verantwortung von jedem einzelnen Menschens aktiv zu werden – auf welche Weise auch immer. Kommt alle in die Leinemasch! Zusammen sind wir eine Bewegung – eine Bewegung, die sich dem Südschnellweg-Ausbau und dem gesamten fossilen System in den Weg stellt. Schluss mit kapitalistischer Dystopie! Für eine befreite und solidarische Gesellschaft!

You can’t evict a movement!

Wir sehen uns am 01.10. – wie auch zu Tag X – auf der Straße und in den Bäumen. Alerta!

Biber besetzen die Leinemasch

— English version below —

Pressemitteilung 24.08.23


Waldbesetzung Tümpeltown – Biber siedeln sich im Tümpel an
KIPPT DER BIBER JETZT NOCH DEN SCHNELLWEGAUSBAU?

Hannover – Die Waldbesetzung „Tümpeltown“, die sich seit fast einem Jahr erfolgreich einer Rodung der Leinemasch widersetzt, hat nun unerwartete Unterstützung erhalten: in dem namengebenden Tümpel haben sich zwei Biber angesiedelt und einen arttypisch unterirdischen Bau angelegt. Da die nach EU-Naturschutzrichtlinie streng geschützte Art in dieser sensiblen Phase der Fortpflanzung nicht gestört oder gar gefangen werden darf, wird dies eine erhebliche Komplikation, wenn nicht gar das Aus für den Schnellwegausbau bedeuten.

Bereits kurz nach Beginn der Besetzung im Oktober 2022 konnten wir Besetzer*innen immer wieder einen Biber im Tümpel und am Ufer beobachten und berichteten uns nahestehenden fachkundigen Personen davon. Das führte zu der Idee, in der Nähe des vermuteten Biberbaus sog. Wildkameras zu installieren, um die Tätigkeit der nachtaktiven Tiere mittels Infrarotaufnahmen zu dokumentieren. Tatsächlich konnten die aufgenommenen Filmszenen sehr schnell Gewissheit bringen, dass es sich sogar um zwei Biber handelt, die den Tümpel nicht nur zur Nahrungssuche nutzen: regelmäßig tauchten die Tiere an der immer gleichen Stelle unmittelbar vor dem Ufer ab. Deutliches Zeichen dafür, dass hier der Eingang eines Baus liegen muss. Biber graben bevorzugt eine Höhle in die Uferböschung, wobei der Eingang unter Wasser liegt, weil so ihren wenigen Fressfeinden, wie Fuchs, Uhu oder Seeadler, der Zugang verwehrt bleibt (die berühmten „Biberburgen“ aus Zweigen und Ästen sind eher eine Ausnahme).

Einer der Besetzer*innen, der sich „Wikinger“ nennt, beschreibt, wie es dann weiterging: „Anfangs dachten wir noch, es würde sich nur um einen einzelnen Biber handeln. Wir haben ihn übrigens Egon genannt. Dank der Aufnahmen wissen wir jetzt, dass es tatsächlich zwei sind: Egon & Gerda! Um den Schutz der Tiere sicherzustellen, haben wir schon sehr frühzeitig Kontakt zur Naturschutzorganisation NABU aufgenommen, für deren Unterstützung und Beratung wir uns herzlich bedanken.“

Der NABU Niedersachsen hat in diesen Tagen die Meldung „offiziell“ an die zuständige Untere Naturschutzbehörde gegeben, für die Region Hannover ist dies das Dezernat Umwelt, Klima, Planung und Bauen. „Das Pikante an der Sache“, berichtet Wikinger weiter, „ist ja, dass der Tümpel im Rahmen des Südschnellwegausbaus trocken gelegt werden sollte. Die Fläche war einerseits als Abstellplatz für Baumaschinen gedacht und andererseits würde der verbreiterte Damm – wenn es denn dazu kommt – bis ans jetzige Tümpelnordufer reichen. Vor der Trockenlegung müssten die Biber allerdings umgesiedelt werden, aber das ist laut EU-Recht verboten. Biber sind streng geschützt, sie stehen auf der Roten Liste.“

Was passiert nun mit dem Schnellwegausbau? Dazu Besetzer*in Belgrad: „Wir Tümpeltown-Besetzer*innen bereiten uns seit Wochen intensiv auf die bevorstehende Rodungssaison und eine drohende Räumung vor. Eins ist für uns ganz klar: Egon & Gerda, unsere Tümpeltown-Biber, haben sich hier gerade einen neuen Lebensraum geschaffen und diesen werden wir genauso vehement verteidigen wie unsere Baumhäuser, wenn es drauf ankommt. Wir erwarten aber, dass der Bund als Bauherrin und die Straßenbaubehörde als Ausführende des Schnellwegausbaus EU-Recht respektieren und die Finger von den Bibern und dem Tümpel lassen. Spätestens jetzt müssen Politik und Behörden umdenken: Mit einer Sanierung des Schnellwegs im Bestand und dem Verzicht auf die Verbreiterung, wie es auch die Aktivist*innen von LeinemaschBleibt und mit ihnen ein breites bürgerliches Bündnis fordern, wäre alles ganz einfach. Die Autos könnten fahren – es müssen sowieso deutlich weniger werden, damit Klimaziele erreicht werden können –, die wunderschöne Leinemasch bliebe erhalten und die Menschen hier könnten sich auch in Zukunft noch an Bibern erfreuen.“

Press release 24.08.2023

Forest occupation Tümpeltown – Beaver settle at the pond
Does the Beaver overturn the Südschnellweg expansion?

Hanover- The forest occupation „Tümpeltown“, which since almost a year successfully fights against a clearing in the „Leinemasch“ did now receive unexpected support: two beavers settled in the name giving pond and build a burrow typical for the species. Since this species is
marked as strictly protected by the EU-guideline for nature protection, they can not be disturbed or even catched. This is going to be a significant complication, if not the end for the expansion of the „Südschnellweg“.

Shortly after the start of the occupation in October 2022, we occupants could repeatedly observe a beaver in the pond and on the shore of it and told competend persons, who are close to us, about it.
That lead to the idea to install camera traps near to the assumed burrow, to document the activity of the nocturnal animals through infrared images. The recorded video scenes actually brought certainty very quickly, that there were even two beavers, that do not only use the pond for the search of food. The animals regularly submerged at the same place directly at the shore. A distinct sign, that the entrance of a burrowis there. Beavers preferably dig a den in the embankment, where the entrance lies underwater, because in this way the few natural enemies, like the fox, the eagle owl or the white-tailed eagle are prohibited from entering ( the famous beavers lodges made with sticks and branches are rather the exception).

One activist/forest occupant called “Wikinger”, describes, how this proceeded: “In the beginning we thought that there was one singular beaver. We named the beaver Egon by the way. Thanks to the recordings we now know, that there are actually two of them: Egon & Gerda! To ensure the safety of the animals, we contacted the nature protection organisation NABU early on, which we thank for their support and advising.”

NABU Niedersachsen handed the announcement to the responsible lower nature conservation authority, which for Hanover is the department of environment, climate, planning and building. “The piquancy of the matter” , Wikinger goes on to tell, “is, that the pond is supposed to get dryed as part of the “Schnellweg” expansion. On the one hand the area was intended as parking place for construction machines and on the other hand the broadened dam – when it comes to that – would reach all the way to the north shore of the pond. Before the drying, the beaver would have to be relocated, but this is prohibited by EU-Law. Beavers are heavily protected, they are on the red list.”

What happens now with the expansion of the “Südschnellweg”? Occupant Belgrad says:” We Tümpeltown Occupents intensely prepare ourselves for the upcoming clearing season and the threat of a clearing. One thing is clear for us: Egon & Gerda, our Tümpeltown Beavers, have currently created a new habitat here and if needed we will defend it as
vehemently as our tree houses. But we expect that the “Bund” as head of construction and the agency for street building as the executing one of the “Schnellweg” expansion respect EU-laws and leave the beavers and the pond alone. At the latest Politics and government agencies have to rethink now: With a renovation/reconstruction and by quitting the expansion, as activists from LeinemaschBleibt and with them a brought civil alliance demand it, everything would be really easy. The cars could drive – they would have to get much less anyway, to make sure that climate goals can be reached-, the beautiful Leinemasch would survive and the people here could still enjoy the beavers in the future!

Kaffee & Kuchen in Tümpeltown

Wir sind Menschen der lokalen Waldbesetzung, die einen Raum geschaffen haben, der sowohl Protest für eine sozial und klimagerechte Mobilitätswende als auch eine aktiv gelebte Utopie eines hierarchiearmen und solidarischen Zusammenlebens ist. Das wollen wir mit euch teilen und laden euch zu Kaffee und Kuchen ein, wollen euch einen Einblick in unsere Motivation bieten und freuen uns auf offene Gespräche. Jeden Sonntag um 15:30 ab dem 20.08. bis zum 01.10. (Großdemo und Beginn der Rodungssaison). Wir würden uns wünschen, wenn jede*r eine Kleinigkeit mitbringt (bitte vegan).

Warum wir vermummt sind

Als Aktivist*innen stehen wir im Fokus staatlicher Repressionen. Deshalb vermummen wir uns zum Schutz unserer Identitäten und nicht um abschreckend auszusehen. Unter unser Vermummung lächeln wir. 🙂

Wir freuen uns auf euch!

Eure Besetzung Tümpeltown

Coffee & Cake in Tümpeltown

We are people of the local forest occupation, who have created a space that is both a protest for a socially and climate-friendly mobility transition as well as an actively lived utopia of a low hierarchy and solidary living together. We want to share this with you and invite you to coffee and cake, offer you an insight into our motivation and look forward to open discussions. Every Sunday at 15:30 from 20.08. until 01.10. (big demo and beginning of the clearing season). We would like everyone to bring a little something (vegan please).

Why we are hooded

As activists we are targets of state repression. That’s why we are masked to protect our identities and not to look scary. Under our hoods we smile. 🙂

We are looking forward to you!

Your Tümpeltown

„Geht mal arbeiten!!“

Unter all dem Gepöbel, was mensch als Aktivist*in immer mal wieder zu hören oder zu lesen bekommt, taucht diese plumpe Aufforderung auf: „Geht mal arbeiten!“. Je öfter und je länger ich darüber nachdenke, desto weniger verstehe ich sie.

Arbeite ich nicht? Sei es eine Waldbesetzung, andere aktivistische Arbeit oder ganz zu Schweigen von Care Arbeit wie Putzen, Kochen usw. – das alles ist zweifelsohne Arbeit. Nur wird diese nicht bezahlt und wird deshalb in diesen kapitalistischen Verhältnissen unsichtbar gemacht und abgewertet.

Aber wer brüllt denn da „Geht mal arbeiten!“? Das Jobcenter ist es wohl eher nicht sondern vielmehr Menschen, die einer Lohnarbeit nachgehen. Warum interessiert es diese Menschen, was ich mache? Warum treten diese Menschen gemäß der Doktrin des Kapitalismus nach unten (wo sie mich zumindest verorten würden) statt über sich zu den Ausbeuter*innen blicken? Ausgebeutet werden, konsumieren, sterben – ist das wirklich ein erstrebenswerter Lebensentwurf? Glauben diese Menschen kleine Kapitalist*innen zu sein obwohl sie lohnarbeiten? Was ist das für ein Klassenbewusstsein? Ein einziges Prozent der Weltbevölkerung besitzen mehr als die übrigen 99 Prozent zusammen. Glaubt noch irgendwer die ganzen Lügen wie „American Dream“ oder „Trickle Down Effect“?

Oder wird der ganze Frust und die ganze Wut, die durch die menschenfeindliche System hervorgerufen wird, an der Stelle auf Aktivist*innen, die dem zu entfliehen versuchen, projiziert? Ich für meinen Teil habe nach Jahren der Lohnarbeit/Ausbeutung beschlossen nicht mehr für sondern gegen dieses tödliche kapitalistische System zu arbeiten. Ich möchte mich nicht kaputt machen lassen für die Profite weniger, ich möchte keine Steuern zahlen für diese klimaterroristische Politik, Cops, AfD, Frontex usw… Ich möchte frei sein. Ich möchte arbeiten, aber für eine besserere Welt. Mir ist bewusst, dass dieser Weg ein Privileg ist, dass nicht alle haben, aber Privilegien sind auch dazu da um sinnvoll genutzt zu werden und das möchte ich versuchen so gut ich nur kann.

Ich träume von einer Welt in der wir solidarisch zusammenleben. Frei von Leistungszwang, Verwertungslogik, Eigentum und Geld bzw. Tausch-Logik. Jede*r bringt sich nach individuellen Fähigkeiten und Interessen ein. Jede*r erhält, was individuell benötigt wird. Eine Gesellschaft, die Kapitalismus, Staaten, Patriarchat, Herrschaft, Rassismus und etwaigen Diskriminierungsformen befreit ist, das ist mein Traum.

In diesem Sinne: Lasst mal arbeiten gehen! Gegen diese kapitalistische Dystopie für eine bessere Welt! Und das gerne gemeinsam Hand in Hand statt gegeneinander…

Twitter: autokratisch, neoliberal, zunehmend faschistisch

Wir wechseln von Twitter zu Mastodon. 

Warum tun wir das?

Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, hat er die Plattform so umgebaut, dass sie nicht nur zu einer Bühne für Faschismus und Verschwörungstheorien geworden ist, sondern dies auch im gesellschaftlichen Diskurs normalisiert. 

So entsperrte er unter dem Narrativ von „extremer Redefreiheit“ zahllose rechtsextreme, antisemitische, rassistische, verschwörungsidiologische, frauenfeindliche und transfreindliche Accounts. Dies hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, das ist menschenfeindliche und tödliche Diskriminierung und kann somit keine Meinung und erst recht keine Freiheit sein. Aber gerade im Neoliberalismus werden Diskriminierung oder diskriminierende Praktiken immer wieder als angebliche individuelle (Meinungs)Freiheit und damit als besonders schützenswert verkauft. Dies nutzen vor allem Autokrat*innen, Faschist*innen und Millionär*innen, um ihre Machtposition oder Strukturen, die diese schützen – wie die Polizeiapparate – zu rechtfertigen, auszubauen und zu sichern. Zumeist weiße reiche cis-Männer, die von Rassismen, dem Patriarchat, Klassismus, Faschismus und Kolonialismus profitiert haben und diese Formen von Diskriminierung weiter brauchen, da dies ihre Position rechtfertigt und erhält.Musk als zweitreichster Mensch auf der Welt, der weiß und ein cis-Mann ist, passt nicht nur sehr gut in dieses Bild, er setzt dies auch um. 

Hier eine genauere Erläuterung, wie er scheinbar mehr Mitbestimmung ermöglicht, aber in Wahrheit diese immer weiter einschränkt: Musk hat das Unternehmen und weitere Aktienanteile gekauft, Twitter als Aktienunternehmen aufgelöst, zahllose Mitarbeitende und Chefs entlassen sowie beratende Expert*innen-Räte aufgelöst. Damit hat er sich eine Plattform erkauft, die für eigene Propaganda ausbaubar und nutzbar ist, in einer absolut autokratischen Form. 

Währenddessen sperrt er (gegen ihn) kritische oder linke Journalist*innen und ändert die Plattformregeln zunehmend so ab, dass sie linke und progressive Äußerungen unterbindet. Bezahlt aber von ihm ausgewählte Journalist*innen für von ihm in Auftrag gegebene Recherchen und die Bekanntmachung der Ergebnisse -meist zu Inhalten, die bereits bekannt waren und nur als scheinbare Profesionalisierung oder Instrumentalisierung der eigenen Handlung dienen.  Diesen Umgang mit journalistischer Arbeit zeigt Musk nicht nur bei Twitter, vielmehr nutzt er Twitter nun dafür. Tesla hat bereits 2020 seine Pressestelle geschlossen und macht alles an Öffentlichkeitsarbeit über Twitter. Musk framed den Nachrichtendienst immer wieder als Möglichkeit, selbst Pressearbeit zu machen und verkündete mehrfach, dass Pressearbeit unnötig sei. Allerdings ist repräsentative Pressearbeit wegen der Richtlinien nicht auf Twitter möglich. Durch die Abschaffung der Pressestelle und die Richtlinien bei Twitter erschwert Musk effektiv eine kritische und damit freie Berichterstattung über Tesla im allgemeinen. Und vor allem deligitimiert er die Glaubwürdigkeit und Wichtigkeit von Pressearbeit im Allgemeinen und schafft ein Negativ-Vorbild für andere Unternehmer*innen. Damit gefährdet und schränkt Musk nicht nur auf Twitter die Meinungsfreiheit ein sondern trägt das bis in die restliche Gesellschaft rein. Übrigens: wer die Pressestelle von Twitter anschreibt, bekommt als automatische Antwort das Scheisshaufen-Emoji!

Ein weiteres Beispiel für Musks autokratisches Verhalten und freiheitliches Framing ist sein Umgang mit Umfragen. Er nutzt immer wieder nicht repräsentative Umfragen, um scheinbar Twitter-Nutzer*innen über das Vorgehen bei Twitter mitentscheiden zu lassen. Diese sind aber meist absehbar pro Musk, da sich vorher durch das Rückholen von Faschos und Verdrängen von kritischen User*innen ein günstiges Publikum geschaffen wurde. Auch ist meist nicht klar, worüber im Detail abgestimmt wird und ob die Abstimmung überhaupt die Umsetzung beeinflusst. Dies assimiliert Partizipation und Emanzipation, während Hierarchien und Autorität weiter aufgebaut werden. 

Hier eine nähere Ausführung des oben angeschnittenen Umgangs Musks mit Rechten und dem Nutzen, den er davon trägt: Denn er fördert nicht nur jegliche Form von faschistischen und reaktionären Narrativen, indem er mit solchen Accounts schreibt, ihnen öffentlich zustimmt oder ihren Inhalt repostet. (Beispielsweise von Antisemit*innen wie Kanye West, prominenten Rechten  Verschwörungsideolog*innen und Impfleugner*innen, wie einem Account der den sogenannten QAnon-Schamanen, bekannt durch den Sturm aufs Capitol, unterstützt.) Er schreibt auch selbst Posts, die in jegliche Richtung diskriminierend sind, wie Verharmlosungen vom Sturm aufs Capitol, Bilder mit Meloni oder der Behauptung, dass „cis“ ein Schimpfwort wäre, was mittlerweile auch offiziell von Twitter in die eigenen Richtlinien übernommen wurde und genutzt wird, um gegen Accounts vorgehen zu können oder diese zu sperren.Die Mischung von einer Bühne nach eigenen Regeln bieten, Interaktion und selbst eigenen Content schreiben, sorgt dafür, dass sowohl Musk als auch die Faschos voneinander profitieren. Die Faschos wirken dadurch seriös, als dass ihnen eine Bühne von einem (nach klassistischer Logik) seriösen Mann geboten wird, der das, was sie schreiben, unterstützt und als freiheitlich framed. Musk profitiert davon, dass jetzt scheinbare Massen radikal(eren) Content schreiben als er und seine Aussagen so gesellschaftsfähig machen. Wie er das für sich nutzt, lässt sich an mehreren Stellen belegen. Ein Beispiel wäre, dass er ganz offen antisemistische Verschwörungsideologien aufgreift und für eigenen Content nutzt, um einen Geschäftsmann jüdischer Herkunft zu deligitimieren, nachdem dieser seine Tesla-Aktien verkauft hatte. Insgesamt hat der Antisemitismus auf Twitter in den letzten Monaten dramatisch zugenommen. Mehr Informationen dazu, mit welchen Accounts Musk interagiert, welche rassistischen Narrative sie oder er nutzen und zu Musks Nutzung von Antisemitismus findet ihr hier: https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/antisemitismus-musk-radikalisiert/

Was bei der Analyse der Faschisierung von Twitter nicht hinten runter fallen darf, ist dass dies nur ein Symptom von einem strukturellen Problem ist. (Also, dass Medien von einer Person aufgekauft werden können, die dann entscheidend den Diskurs beeinflussen kann und damit die öffentliche Meinung.) Das Problem heißt vor allem Kapitalismus, Klasissmus und Staat, der diese beiden Strukturen aktiv nutzt und mit Gesetzgebung und Exekutive schützt. Besonders gefährlich daran ist, das alles profitabel sein muss, auch Medien, und somit eine massive Beeinflussung des gesellschaftlichen Diskurses käuflich wird und dort Menschen mit viel Vermögen einen Vorteil haben. Da die Existenz Superreicher von Kapitalismus und Klassismus abhängen und die wiederum von diskriminierenden Strukturen, besteht hier ein großes Interesse, eben jene zu erhalten.Eat the rich and the states wäre wohl der sicherste Weg Meinungs-, Pressefreiheit und Menschenrechte zu schützen. Der Trend, dass Print-/ Soziale Medien, die sowieso schon mehrheitlich Großkapitalist*innen gehören, weiter aufgekauft und zusammengelegt werden, ist nämlich seit Jahren ungebrochen. Genau so wie eine Zunahme rechter und autoritärer Staaten samt Einschränkungen, die auch Auswirkungen auf die Pressefreiheit haben. Twitter ist hier zwar ein sehr extremes Beispiel, aber eben doch eher eine Verschärfung als aus dem nichts kommend und vor allem mit eventuellen Potential, ein Vorzeigeprojekt zu sein. 

Bevor noch einmal eine abschließende Auflistung von Gründen folgt, Twitter zu verlassen, hier noch ein weiteres Argument mit Erklärung. 

Eine Nutzung von Twitter, ohne den rechten Diskurs mitzutragen, wird mit Elon Musk an der Spitze nicht möglich sein. Wenn gezielt Inhalte gesperrt werden oder als Beleidigung behandelt werden, die links oder kritisch sind, (wie letzte Woche das Wort „cis“) dann können sie nur noch entkernt geschrieben werden. Es müssten rechte Tweets unkommentiert stehen gelassen werden. Dort zu bleiben, hieße , sich zu assimilieren und nicht mehr links(radikal)/ antifaschistisch schreiben zu können und damit den Rechten noch mehr Raum zu geben.  

Also zusammenfassend noch einmal die Gründe, Twitter zu verlassen: 

1. Twitter wird zu einer autokratischen bis faschistischen Plattform umgebaut.
2. Faschos, Rechte, Antisemit*innen, Verschwörungsideolog*innen, queer- und frauenfeindliche Menschen verbreiten dort (vermehrt) ihre menschenfeindlichen Lügen.
3.Dort zu bleiben, hat einen legitimierenden Effekt.
4. Die Plattform verschiebt den gesellschaftlichen Diskurs und damit das Machbare nach rechts.
5. Die Pressearbeit wird durch Twitter zunehmend deligitimiert.
6. Es kann als Vorzeigebeispiel für andere superreiche Autokrat*innen dienen.
7. Die Regelungen auf Twitter lassen zunehmend nur Assimilation zu.
8. Insgesamt ist die Plattform zu einer Gefahr für das gesellschaftliche Zusammenleben geworden und vor allem für von Diskriminierung betroffene Menschen. 

Aber was sollen wir tun? 
Nutzt andere (aktivistische) Social Media, unterstützt diese und fordert andere dazu auf, das auch zu tun, baut gemeinsam anarchistische und diskriminierungsfreie Soziale Medienplattformen auf, organisiert, unterstützt und solidarisiert euch zum Kampf gegen das System, das diesen Umbau von Twitter und die allgemeine Gefahr für Meinungs- und Pressefreiheit sowie Menschenrechte ermöglicht und die Konsequenzen, die das hat: Klassismus, Kapitalismus, Staat und Herrschaft, Rassismen, Antisemitismus, koloniale Kontinuitäten, das Patriarchat, Queerfeindlichkeit und Verschwörungstheorien! Damit schränkt ihr solche Entwicklungen ein oder entzieht ihnen sogar die Grundlage! 

Solidarität mit allen von Diskriminierung betroffenen!
Lasst uns gemeinsam gegen zunehmnde Autorität kämpfen und für diskriminierungsfreie Gesellschaften! Und lasst uns weiter radikal darüber berichten, gegen was und vor für allem was wir kämpfen!


Quellen und weiterführende Links:

Allgemein Kauf von Twitter, kein Aktienunternehmen mehr, angebeliche Redefreiheit:  https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/antisemitismus-musk-radikalisiert/, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/musk-twitter-103.html
Sperren von kritischen Accounts: https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/twitter-sperre-journalisten-101.html
Umgang von Tesla mit Presse: https://www.n-tv.de/wirtschaft/Tesla-macht-die-Pressestelle-dicht-article22112860.html
Zum Thema Transfeindlichkeit: https://futurezone.at/digital-life/elon-musk-cisgender-cis-beleidigung-twitter-umfrage-trans/402495153
Auflösung von Kontrollgremium: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/twitter-loest-kontrollgremium-auf-101.htmlTwitter holt Rechtsextreme zurück: https://netzpolitik.org/2022/twitter-amnestie-elon-musk-holt-die-rechtsextremen-zurueck/
Entlassungen bei Twitter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/twitter-entlassungen-103.html
Elon Musk und Antisemitismus: https://www.juedische-allgemeine.de/politik/elon-musk-george-soros-magneto-und-der-judenhass/, https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/antisemitismus-musk-radikalisiert/