+++ Parlamentarismus reicht halt nicht – Zeit für Anarchie +++

In Deutschland leben wir in einer parlamentarischen Demokratie. Aber was ist überhaupt Demokratie? Demokratie bedeutet übersetzt aus dem Griechischen „Herrschaft des Volkes“. „In Demokratien ist 1. das [sogenannte] Volk oberster Souverän und oberste Legitimation politischen Handelns. Das bedeutet i.d.R. jedoch nicht, dass das [sogenannte] Volk unmittelbar die Herrschaft ausübt. Vielmehr sind 2. die modernen Massen-Demokratien durch politische und gesellschaftliche Einrichtungen […] geprägt, die die Teilhabe des größten Teils der Bevölkerung auf gesetzlich geregelte Teilhabeverfahren (z.B. Wahlen) beschränken.“1 Wie aus dieser Definition hervorgeht, gibt es also weiterhin Herrschaftsverhältnisse, die bekanntermaßen nicht selten mit Gewalt durchgesetzt werden. Klar, könnten wir in einem noch schlechterem politischen System wie zum Beispiel in einer Diktatur, leben, aber eben auch in einem bedeutend besseren. Das geht über mehr als politische Teilhabe hinaus. Wir denken hierbei an ein anarchistisches System. Im nachfolgenden Text möchten wir sowohl die Probleme aufzeigen, die parlamentarische Demokratien mit sich bringen, sowie darauf verweisen, dass die Teilhabe in Deutschland immer weiter eingeschränkt wird und zum Abschluss anführen, warum wir deshalb für Anarchie kämpfen.


Im Parlamentarismus wird dem sogenannten Volk kaum Teilhabe an politischen Entscheidungen zugestanden. Aus ihrer Teilhabe, also dem Gang zur Wahlurne, leiten die Gewählten lediglich ihre Macht ab. „Wenn Wahlen wirklich etwas verändern würden, wären sie verboten.“ heißt es so schön wie zynisch. Denn darauf was in Parlamenten dann tatsächlich entschieden wird, haben die Wahlberechtigten wenig bis gar keinen Einfluss mehr. Sichtbar ist das schon daran, wie normalisiert es ist, das sowohl Wahlversprechen, als auch gesetzte Ziele durch die Bundes- und Länderregierungen, wie Koalitionsverträge nicht eingehalten werden. Das Nichteinhalten von Wahlversprechen hat keinerlei rechtliche Konsequenzen. Den verarschten Wähler*innen bleibt nichts anderes übrig als das nächste mal eine andere Partei, die natürlich aber ebenso glaubhafte Versprechungen macht, zu wählen. In der Wirtschaft würde eine solche Praxis als Betrug geahndet werden.


Dabei wird längst nicht allen, die von den Entscheidungen, die in deutschen Parlamenten getroffen werden, auch berechtigt dieses zu wählen. Besonders sticht der rassistische Ausschluss über die Verteilung von Staatsbürgerschaften hervor. Ein weiteres Problem ist der komplett normalisierte Ausschluss von Menschen die als unmündig angesehen werden wie zum Beispiel Kinder, Jugendliche oder Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Neben den im Vorhinein Ausgeschlossenen, gibt es auch diejenigen, die durch zu große Barrieren vom Wählen abgehalten werden. Gründe wären geistige und körperliche Beeinträchtigungen, Krankheiten, Sprachbarrieren oder Diskriminierung aufgrund von Rassismus und Klassismus. 


Selbst wenn eine Person dann die zahlreichen Hürden zur Wahlurne überwunden hat, ist die Wahl maximal unrepräsentativ. Weiß, deutsch,  cis-männlich, Akademiker, obere Mittelschicht und mittelalt bis alt, ist die Beschreibung, die auf den größten Teil des Bundestags zutrifft, im Gegensatz zu denen, für die sie entscheiden sollen. Damit ist die „Volksvertretung“ maximal unqualifiziert andere zu vertreten, als diejenigen die eh schon am priviligiertesten sind oder bereits in Machtpositionen sitzen. Da genau das passiert trägt das Parlament maßgeblich dazu bei, dass Diskriminierung und Ausbeutungssystemen wie Rassismus, Klassismus oder das Patriarchat  aufrecht erhalten werden. 


Dass Wahlen nur Nuancen der Politik verändern, zeigt sich sehr beispielhaft darin wie sich Klimapolitik von Union und Grüne unterscheiden – so gut wie gar nicht. Von der Union muss mensch sich zumindest kein Gejammer über „Bauchschmerzen“ bei Entscheidung wie der Zerstörung Lützeraths anhören. Zahlreiche Grüne, die Politiker*innen geworden sind um Klimaschutz zu betreiben, stimmen immer wieder Gesetzen zu, die das exakte Gegenteil bewirken.


Die Rechtfertigung ist immer wieder, in der Koaliation, die es zum Regieren braucht, müsse mensch Zugeständnisse machen. Das stimmt zwar, in diesem politischen System gedacht, führt uns so aber auch das Grundproblem vor Augen: das parlamentarische System als solches. In diesem System werden alle wesentlichen politischen Entscheidungen im Parlament und nicht bspw. durch die betroffene Bevölkerung direkt getroffen. Um an der Macht zu sein bzw. einfacher Regieren zu können, sind dafür Koalitionsbildungen legal und gängig. Verschiedene Parteien schließen sich mit ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammen um so möglichst selten in die Situation zu kommen mit anderen Fraktionen Kompromisse auszuhandeln und Debatten zu führen, die nicht nur zur Darbietung der eigenen politischen Position dienen sondern um gemeinsam Entscheidungen zu treffen.Glücklicherweise gibt es in unserem politischen System ja Lobbyist*innen, die Abhilfe gegen die (nicht) vorhandenen „Bauchschmerzen“ zu verschaffen wissen… (In anderen Ländern nennt sich dies übrigens auch Korruption.)


Neben Wahlen gibt es noch andere Formen der politischen Teilhabe. Unter Einhaltung bürokratischer Vorschriften können Petitionen und Klagen eingereicht oder Demonstrationen durchgeführt werden. Genau das ist hier bei den Ausbauplänen zum Südschnellweg, wie bei so vielen ähnlichen fossilen Projekten, passiert.Statt sich zur Vernunft oder zumindest zur Verfassung (Artikel 20a Grundgesetz) zu besinnen macht die parlamentarische Politik das exakte Gegenteil. Menschen, die von ihrer legalen (!) politischen Teilhabe Gebrauch machen wollen, werden kriminalisiert oder bestenfalls komplett ignoriert. Der zunehmend repressive Umgang mit zivilem Ungehorsam ist beispielhaft für Kriminalisierung während das Ignorieren von Petitionen gang und gäbe ist. Diese „Teilhabe“ ist somit nichts weiter als Bittstellerei. Die Cops, die den Status quo gewaltsam verteidigen, werden mit Polizeigesetzen, die extra auf Aktivist*innen zugeschnitten sind, weiter von der Leine gelassen und die Repressionen immer krasser und absurder. 


„Lex Ende Gelände“ bzw. das Polizeigesetz von NRW ist da ein gutes Beispiel für 2 3. Das Gesetz ist darauf ausgerichtet die Aktionsform von Ende Gelände unwirksam zu machen. Statt 12 Stunden werden so vor allem Klimaaktivist*innen bis zu sieben Tage ihrer Freiheit beraubt, wenn sie versuchen ihre Identität zu verweigern. Lange Gewahrsamszeiten machen eine erfolgreiche Identitätsverweigerung deutlich unwahrscheinlicher und entziehen der Aktionsform damit eine wichtige Grundlage. Damit richtet sich diese Gesetzesänderung direkt gegen Identitätsverweigerung, was nicht einmal eine Straftat ist, statt gegen Terrorismus. Die haarsträubende Argumentation für dieses Gesetz ist „Abwehr von Terrorgefahr“ während Politik & Wirtschaft die Klimakatastrophe und diverse Ökozide fortwährend befeuern… So werden Menschen durch den Staat von ihrer politischen Einflussnahme abgehalten. Die Anwendung von § 129a StGB auf die Letzte Generation treibt es noch weiter auf die Spitze…

Es gibt daneben zahlreiche weitere Beispiele, wie diese bereits sehr geringe politische Teilhabe noch weiter beschnitten werden soll und auch beschnitten wird.


Nun wird auch noch durch verschiedene Parteien gefordert, dass das Verbandsklagerecht eingeschränkt werden soll. Dies ist schlicht antidemokratisch und autoritär.


Die Lokführer*ingewerkschaft GDL streikte für angemessenere Bezahlung sowie bessere Arbeitsbedingungen – also reformistisch-moderate Forderungen. Da die parlamentarische Politik und die Wirtschaft schon mal gar nicht für Lohnarbeitende einsetzt, ist gerade das im Grundgesetz verankerte Streikrecht elementar für die wirtschaftspolitische Teilhabe. Solche dringend notwendigen Arbeitskämpfe sind durch das aktuelle Streikrecht bereits sehr beschränkt. Diese Beschränkung wollen CDU, FDP & Wirtschaft vor dem Hintergund der Streiks der GDL noch weiter verschärfen und stehen dazu sogar öffentlich! Das ist Arbeitskampf, aber von oben…


Der Beschnitt politischer Teilhabe bleibt aber nicht bei solch antidemokratisch-autoritären Fantasien. Der Fall von „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ zeigt dies sehr anschaulich. In dieser Initiative haben sich Berliner Mieter*innen zusammengetan und letztendlich einen Volksentscheid erwirkt, dessen klares Ergebnis ist, dass Berliner Wohnungskonzerne zu enteignen sind. Als Volksentscheid ist dies somit rechtlich bindend für die Regierung Berlins. Diese weigert sich faktisch aber diesen Entscheid umzusetzen und bricht damit bewusst geltendes Recht, was das Ganze besonders entlarvend macht.

Wir haben aufgezeigt, weshalb Parlamentarismus keine Lösung ist und wie dieses politische System zunehmend noch antidemokratischer und autoritärer wird. Aber was ist die Alternative? Unsere Antwort: Anarchie.


„Aber ist Anarchie nicht Chaos, Mord und Totschlag?“ Dies ist lediglich eine gängige Verleumdung von Anarchie. Anarchie ist eine Organisierungsform des Zusammenlebens, die sich durch die Abwesenheit etwaiger Arten von Herrschaft auszeichnet und somit eine freie und solidarische Gesellschaft zum Ziel hat – kurz gesagt: das gute Leben für alle.


Die Idee des Anarchismus ist so alt wie die Menschheit selbst und womöglich die natürlichste Organisierungsform von uns Menschen. Nichtsdestotrotz wird uns immer wieder versucht weis zu machen, dass das bestehende System das bestmöglichste sei, obwohl es jeden einzelnen Tag scheitert…Auch wenn sie für sich selbst nicht alle den Begriff Anarchie verwenden, gibt es doch zahlreiche Beispiele von Organisierungsformen, die anarchistisch oder dem sehr nahe sind: Organisierung von Anarchist*innen im Spanischen Bürgerkrieg, Räterepublik in Deutschland, Waldbesetzungen, verschiedene indigene Völker, diverse Hausprojekte und und und…


Die Überwindung von Herrschaft ist der zentralste Aspekt des Anarchismus. Aber was verstehen wir unter Herrschaft eigentlich? Herrschaft beginnt nicht erst dort, wo sich Menschen über andere Menschen erheben, Befehle geben und ihren Willen explizit gewaltsam erzwingen. Sie beginnt viel früher und ist bedeutend umfassender und vielfältiger. Oftmals ist sie subtil. So ist es beispielsweise erlaubt keiner Lohnarbeit nachzugehen. Ist mensch allerdings nicht durch den Besitz von Vermögen oder andersweitig priviliert, bekommt mensch doch sehr schnell den Zwang in dem bestehenden System zur Lohnarbeit zu spüren: nahezu alles, was mensch zum Leben braucht kostet Geld, Auflagen etc. durch Arbeitsamt oder Jobcenter, soziale Ächtung und so weiter und so fort. Herrschaft kann also sowohl durch Personen, Gruppen als auch Systeme ausgeübt werden. So sind Patriarchat, Kapitalismus und sämtliche Diskriminierungsformen als (Stabilisierungs-)Formen von Herrschaft zu begreifen.Herrschaft ist nicht nur das Gegenteil von Freiheit, sondern auch überhaupt nicht erforderlich. Wer soll denn auch besser entscheiden können, was wir brauchen, tun und lassen sollen als wir selbst? Zwischenmenschliche Beziehungen, die von Vertrauen geprägt sind, sind stattdessen erforderlich. Zudem ist Eigenverantwortung und Solidarität unerlässlich. Nur so ist ein harmonisches Zusammenleben ohne Unterdrückung möglich. 


Mensch könnte jetzt fragen „Ja, das klingt ja alles schön und gut, aber ist das nicht etwas naiv? Ist das nicht ein hippiemäßig positiv verklärtes Menschenbild? Kann der sadistische Serienmörder dann so ohne Polizei nicht einfach machen was er will?“. Auch darauf gibt es anarchistische Antworten. Möglichkeiten im Umgang mit Konflikten und Gräueltaten sehen dabei bedeutend anders aus als in anderen Organisationsformen von Gesellschaften. 


Polizeien sind aus vielen Gründen strikt abzulehnen. So halten solche bspw. gewaltsam den Status quo aufrecht. Ein zentrales Problem ist auch, dass sie das Gewaltmonopol inne haben und durch diese Verstrickung im Staat faktisch auch nahezu unantastbar sind. Davon kann so manches Opfer von Copgewalt, was solche Körperverletzung zur Anzeige bringen wollte, ein Lied singen…


Kommen wir zu einem Erlebnis aus einer Disco, an dem sich beispielhaft aufzeigen lässt, wie die Dinge anders laufen können. Da war ein aggressiver, besoffener Typ, der eine Schlägerei eröffnen wollte. Bevor es soweit kam, war ein Mensch von der Security zur Stelle. Er baute sich vor dem Typen auf und der Typ tobte. Wider aller Erwartung kam es aber zu keiner Handgreiflichkeit. Geduldig, ruhig aber entschlossen sprach der Mensch von der Security mit dem Typen während jede*r Cop längst losgeprügelt hätte. Warum tat der Security-Mensch das aber nicht? Er wäre körperlich überlegen und im Handumdrehen auch zahlmäßig überlegen gewesen. Zum einen hätte eine körperliche Auseinandersetzung sicherlich nicht die Stimmung in der Disco angehoben und zum anderen müsste sich der Security-Mensch ebenso für Körperverletzung verantworten wie der besoffene Typ. So kam es zu einer gewaltfreien Lösung der Situation.


„Und was ist wenn wer Amok läuft?“ Das Ende des Gewaltmonopols bedeutet nicht das Ende von Gewalt. Wer bspw. wild um sich schießt lässt sich nicht unbedingt wie der Typ in der Disco mit Worten aufhalten. Das Privileg Pazifismus hat seine Grenzen. Irgendwann sind gewaltfreie Möglichkeiten ausgeschöpft. Dann ist Gewalt leider nötig. Die Fragen sind dann wofür, wie und wer die Gewalt einsetzen soll. Wofür? Um die unmittelbare Gefahr abzuwehren. Wie? Nur so weit wie unbedingt nötig. Wer? Das lässt sich je nach anarchistischer Organisierungsform, zu denen wir weiter unten im Text noch kommen, regeln. Wichtig ist, dass es kein Gewaltmonopol gibt und es stets um die Verteidigung der Werte geht und nicht darum sich in eine Machtposition zu manövrieren.Denkbar wären zum Beispiel Aufagben Verteilungen die auch eine Security beinhalten in rotierenden Räten oder Arbeitsgruppen. 


Wie soll der Umgang mit Vergehen im Weiteren aussehen? Straflogik ist die Antwort des derzeit herrschenden Systems. Die Praxis von Bestrafen durch Repressionen wie Freiheitsberaubung (Knast) sind nicht nur oft unmenschlich, sie bringen auch nicht wirklich was. Zum Zeitpunkt der Bestrafung ist das Vergehen bereits geschehen. Das Verbreiten von Angst durch das Statuieren von Exempeln zur Abschreckung ist nicht effektiv. Der Schaden des Opfers wird durch Bestrafung der Täter*innen  nicht geringer. Und den Täter*innen wird nicht die Möglichkeit sich zu bessern gegeben. Die Alternative zur Straflogik? Transformative Gerechtigkeit. Und vor allem vorbeugende Arbeit, die Diskriminierungs- und Unterdrückungsmuster, wie patriachale oder rassistischen Mustern entgegenarbeitet. Besonders wichtig dafür ist ein emotionales Versorgungs- und Auffangsystem beispielsweise in gemeinsam erarbeiteten Awarenesskonzepten und für Awarenessarbeit ausgebildete Gruppen. Ebenfalls eine wichtige Grundlage sind Räume, die auf Bedürfnisse einzelner Gruppen und deren Diskriminierungseefahrung ausgelegt sind sowie gemeinsame Bildungsarbeit sind ebenfalls wichtig. 


Ein weiterer Aspekt von Anarchie ist zum Beispiel das Abschaffen des Konstrukts von Eigentum in seiner aktuellen Form. Am Ende dieses Textes haben wir verschiedene weiterführende Materialien aufgelistet, die einen guten Einstieg in anarchistische Ideen ermöglichen.


Anarchistische Organisationsformen begegnen uns überall, ob in Demokratien, Diktaturen oder Autokratien. Anarchistische Organisierung, findet dabei immer trotz den Systemen drum herum statt, nicht aus ihnen heraus. Sie entstehen oft als Widerstand einer Gruppe von Menschen, um gemeinsam eine Alternative zu schaffen, politische Ziele zu erreichen, das System in dem wir leben zu verändern oder ganz abzuschaffen.Ende Gelände ist wohl eines der größten Bündnisse, die bei der Organisierung Ansätze der Graswurzelbewegung verfolgt. Im Graswurzelaktivismus lassen sich Formen von anarchistischen Ideen wiederfinden. Es gibt einzelne Ortsgruppen, die in Plena über ihre Arbeit entscheiden, sowie die Bundesebene, die zur Vernetzung, für größere Aktionen gedacht ist als auch für Abstimmungen was die gesamtpolitische Ausrichtung angeht. Wichtig dabei ist, dass die Bundesebene nicht automatisch hierarchisch in einer höheren Position steht. Die Ortsgruppen können unabhängig arbeiten und die Bundesebene ist grundsätzlich erst einmal für alle offen. Die Möglichkeit die Bundesebene zur Vernetzung zu haben, aber trotzdem unabhängig arbeiten zu können, ermöglicht eine große Freiheit und Vielfalt von Ergebnissen und trotzdem die Möglichkeit Unterstützung und Solidarität zu finden, sowie gemeinsam große Projekte auf die Beine zu stellen. Die Arbeitsweise von EG zeigt auf, dass Organisierung mit Hierarchieabbau und Kontrollabbau nicht nur möglich sondern auch verdammt effektiv  ist und stiftet zu Nachahmung an. Zudem bringt es den Vorteil mit sich nicht angewiesen sein auf die hierarchisch höher gestellte Person oder ein höher gestelltes Gremium. Somit bleibt auch beim Wegfall von beispielsweise Vorgesetzten die Handlungsfähigkeit erhalten.


Aber das ist natürlich nicht das einzige Beispiel für anarchistische oder anarchistisch ähnliche Organisierung. Linke Strukturen, wie andere Politgruppen, unabhängige Jugendzentren, Kochgruppen, linke Gewerkschaften und freie Radios etc. sind in den meisten Fällen möglichst hierarchiearm organisiert und von unten nach oben strukturiert. Das sind Strukturen, die über Jahrzehnte hinweg durch ihre Arbeit und Support Auffangbecken und Orte der Selbstorganisierung für linke und/ oder marginalisierte Menschen waren und sind. Durch ihre Möglichkeit der möglichst gleichberechtigten Beteiligung und Gestaltung konnten sie ihren eigenen Fortbestand und den der linken Bewegung sichern. Und auch wenn es um direkte Aktionen geht, dann sind es Plenumsstrukturen, die sowohl bei der Vorbereitung, in der Aktion selbst, oder in der Nachbereitung zur Anwendung kommen. Sie sorgen dafür, dass es die Aktion der beteiligten Menschen selbst ist und sie dementsprechend diese nach eigenen Grenzen und Bedürfnisse gestalten können. Auch können so Ziele gesetzt und situtioansabhängig geändert werden. Natürlich ist das auch nicht perfekt, ermöglicht aber, dafür, dass Aktionen möglichst gut funktionieren und vor allem, dass Menschen möglichst gut aufgefangen werden können. Ebenfalls ermöglicht es, dass kollektiv aus Fehlern gelernt werden kann und Gelerntes weitergegeben wird.Diese Form der Arbeit und des Lebens ermöglicht es in einem sehr krass kontrollierenden System, sich gegenseitig aufzufangen und zu supporten, genau so wie diesem entgegen zu arbeiten. Grund dafür ist, dass die Arbeitsweise darauf ausgerichtet ist, dass es eine gleichberechtigte Zusammenarbeit auf Grundlage von Bedürfnissen, Solidarität und Vertrauen anstatt von Kontrolle gibt.Und es ist etwas was auch in größerem Rahmen funktioniert, als System des Zusammenlebens selbst und nicht nur innerhalb eines hierarchischen Systems als Widerstand. Der Demokratische Konföderalismus in Kurdistan wäre ein Beispiel, da er von der Organisierung her große Schnittmengen mit anarchistischen Ideen hat.Diese Auflistung von Bespielen könnte noch lange fortgesetzt werden und beginnt bei genauem hinsehen oft im eigenen Leben. Beipielsweise die WG-Plena, vielleicht auch die gemeinsame Verwaltung des Hauses oder die gemeinsame Versorgung des Kleingartens. Anarchistische Organisierung ist überall und ergibt sich ganz natürlich aus dem Willen heraus, gleichberechtigt zusammen zu leben oder zu arbeiten. 


Es gibt nicht den einen Anarchismus und erst recht nicht einen Anarchismus für alle Umstände, Menschen, Gruppen, Lebensformen und Lebenssituationen. Im Gegenteil es gibt für alle Situationen die Möglichkeit zu schauen, welche Form von anarchistischem Leben und Organisieren die beste ist. Es ist die Grundidee, die zählt.Anarchistische Lebens- und Organisierungsentwürfe beginnen dort, wo angefangen wird Herrschaft, Hierarchien und Kontrolle zu reflektieren und abzubauen.Es gibt unterschiedlichste Strömungen und Ideen, wie das ausshen kann. Vom kollektivistischen oder kommunistischen Anarchismus, die einem herrschaftsfreien Kommunismus nahe sind bis zum Individualanarchismus, der auf große Freiheit aller Individuen ausgelegt ist und weniger auf organisierte Gruppen. Dieser Text soll keine Anarchistische Strömung aufdrücken, sondern aufzeigen, wie viele Möglichkeiten es gibt herrschaftsfrei zu leben. Es ist nicht notwendig, 80 Millionen Menschen, als Staat zusmamenzufassen, mit verhältnismäßig wenig Repräsentant*innen. Im Gegenteil, es könnte viele verschiedene kleinere Gesellschaften und Gruppen geben, die sich in verschiedenen anarchistischen Lebens- und/ oder Arbeitsgemeinschaften organisieren. Es kann Vernetzungen zwischen diesen Gruppen geben und Menschen, die sich nicht fest Gruppen anschließen möchten.


Wir wollen/müssen einen offenen Bruch mit dem Bestehenden erzeugen. Die Splitter von jenem sollen wie Konfetti durch die Luft fliegen! Wir sind keine Feind*innen der Demokratie – im Gegenteil! Sie geht uns nicht weit genug und die parlamentaristische Demokratie erst recht nicht. Lasst uns gemeinsam für Anarchie – das gute Leben für alle – kämpfen!


Nicht Wählen zu gehen ist natürlich keine sinnvolle Option. Es kann dazu dienen, dass die Politik weniger schädlich ist und dass das Wiedererstarken des Faschismus gedämpft wird – mehr aber auch nicht. Keine Partei vermag dieses System zu verändern, da sie selbst stets Teil von jenem sind, wie wir oben aufgezeigt haben.Was kannst du jetzt also tun? Bilde dich weiter. Lies Texte, gehe zu Vorträgen und Workshops. Organisiere dich. Tritt einer bestehenden Gruppe bei oder setz dich mit deinen Freund*innen zusammen und bilde selbst eine Gruppe. Teile deine Skills, Erfahrungen und dein Wissen.Und natürlich: Werde aktiv! Ob große Kampagne oder klandestine Kleingruppenaktion – die Ansatzpunkte sind schier unendlich. Lass uns die Welt verändern! Amore, anarchia, autonomia!
Weiterführendes MaterialIn diesem Text haben wir verschiedene Themen angeschnitten. Hier findest du frei zugängliches, weiterführendes Material:

  • Text darüber widerständig zu bleiben, Frust, Burn-Out und Verbürgerlichung zu vermeiden, aber auch für Neue ein guter Text über politische Lebensmodelle: „Stay Rebel“ https://stayrebel.noblogs.org/broschure/
  • Podacst über linkspolitischen Aktivismus und linkspolitische Strategien aus einer anarchistiachen Perspektive. Zudem noch einführende Informationen zu verschieden anrachistischen Strömungen: Übertage – der anarchstische Pottcast (zum Beispiel auf Spotify zu finden) 
  • Podcast bei dem verschiedene Orginal-Texte von Anarchist*innen kombiniert mit Cellomusik vorgelesen werden: Anarchie und Cello (unter anderem auf Spotify zu finden)
  • Zweiteilige Doku über die Geschichte der anarchistischen Bewegung „Kein Gott, kein Herr“ (Fokus liegt vor allem auf Männern und Europa): https://kurzelinks.de/is87

Quellen
1) https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/17321/demokratie/
2) https://taz.de/NRW-verschaerft-Polizeigesetz/!5555983/ 3) https://taz.de/Verschaerftes-Polizeigesetz-in-NRW/!5845664/

Derealisation oder Schneller inkompatibel werden

Dieser Text entsteht im Mai 2024. Die Ausgangsfrage ist einfach, eigentlich: Wie geht’s denn so, JETZT, als Aktivistin in Hannover, zuletzt in der Leinemasch, in der gerodet wurde. Aber nichts ist einfach, nichts ist einfach zu vermitteln.

Aber es gibt einen Start:

Es ist der 6. Mai 2024. Ich bin vormittags mit einem Menschen in der Leinemasch verabredet. Wir haben hier, wie so viele andere, ungesund viel Energie und Zeit im Kampf gegen das irre Weiter-so gelassen. Im Januar wurde trotzdem für die Verbreiterung des Südschnellwegs gerodet, gerade entsteht eine Baueinrichtungsfläche. Arbeiter*innen kampfmittelsondieren den für Tümpeltown namensgebenden Teich und pumpen ihn offenbar leer.

Tümpeltown war das ikonische Baumhausdorf zwischen Tümpel und Südschnellweg, in dem im Januar Dutzende Aktivisti ausgeharrt, die Rodung drei Tage lang hinausgezögert und ein fettes Ausrufezeichen hinter den Protest von Leinemasch BLEIBT gesetzt haben. Tümpeltown, der queerfeministische, utopische Erfahrungs- und Begegnungsort für so viele Menschen, ist im Wortsinn vom Erdboden verschwunden.

Wir sitzen im Baueinrichtungs-Naherholungsgebiet. Es blüht, es riecht nach Frühling. Der Mensch sagt einen Satz: Wir sind inkompatibel. Er meint nicht uns, sondern uns in der Welt.

Zu Hause, anschließend, kämpft mein Kind mit der Entscheidung, nach dem Sommer eigene Wege zu gehen oder die Oberstufe „durchzuziehen“, weil sich dann nach drei Jahren alle Zukunftsoptionen vor den Abiturient*innen erstrecken. Letzteres: ein mächtiges, ungebrochenes Schulnarrativ. Das Narrativ einer Welt, in der trotz allem alles irgendwie so weitergeht.

Später auf dem Weg zur Stadtbahn fühlt sich alles eine Spur verrutscht an. Als wäre die vertraute Straße heute Kulisse, irgendwie anders beleuchtet, alle Bewegungen etwas verlangsamt, entkoppelt. Das ist nicht schlimm oder übermäßig beängstigend. Die Welt zerfällt einfach in Kulisse und mich.

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Derealisation: […] ein Gefühl von Unwirklichkeit.
(nach ICD-10: F48.1)

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Es gibt dafür sogar einen Fachbegriff: „Derealisation“1. Was für ein Wort. Jenseits von Diagnosekatalogen transportiert es ein Grundgefühl: diesen Zustand, wie festgefroren einfach dazustehen und zu beobachten, wie das, was wir2 the world as we know it, was wir „Zivilisation“ oder „Zukunft“ nennen, in Zeitlupe von der Weiche springt, während wir auf eine Sommermärchen-EM hoffen, während Billie Eilish´s neues Album ungeduldig erwartet wird und während um Notendurchschnitte gerungen wird.

Dieses Gefühl war noch nie so überwältigend wie jetzt – aber wirklich neu ist es nicht. In meiner Erinnerung sind da diese Bilder aus Großbritannien, die ab Ende der 1980er Jahre die „mad cow disease“ (BSE) in die Tagesschau spülte, verrenkte Kühe wie von Sinnen, gigantische Rinder-Scheiterhaufen. Wirklich de-real dann das Danach: Zu verstehen und die Logik vor Augen zu haben, wie „Fleisch produzieren“ geht und deshalb aufzuhören Tiere zu essen, aber der Normalität gehäckselter rosa Tierhaufen als günstiges „Angebot“ nicht mal in Zeitungsbeilagen entkommen zu können.

Auch damals schon: Sprachlosigkeit. Weil es unmöglich ist, sich ernsthaft zu erklären, weil das bedeuten würde, Familie, Freund*innen, Fremde immer wieder beim Essen mit dem unerträglichen Grauen und Leid und auch ihrer Mittäter*inschaft zu konfrontieren. Und ungewollt steht da immer was mit Moral im Raum: „ich gut, du schlecht“. Auch in eigener Sache ist es unerträglich, sich bei jeder Frikadelle und jeder Scheibe Wurst auf anderer Menschen Teller selbst wieder bewusst zu machen, für welche Geschichte dieses Essen wirklich steht, angefangen beim gequälten Tier im verdreckten Stall und den Arbeitsbedingungen im Schlachthof bis hin zu all den Markt- und Lobby-Verstrickungen.

Das war Derealisation und Sprachlosigkeit Anfang der 1990er. Status: etwas mehr als 350 ppm – 350 CO2-Moleküle pro eine Million Moleküle in der Atmosphäre ist ein sicherer Wert. Es wäre so vieles noch möglich gewesen.

Ist das etwa ein Appell, vegan zu werden? Nein, oder? Oder doch? Was hat das mit dem Thema zu tun?

Derealisation Mai 2024, 426 ppm3, weiter steigend, ein Desaster. Zusehen, wie die 1,5 Grad erreicht sind, wie die world as we know it von der Weiche springt, während das „Standard-Essen“ in der Schulmensa, im Altenheim, im Krankenhaus immer noch das Essen mit Fleisch ist; während Rodungen, Flächenverbrauch, Artensterben, Treibhausgase, Antibiotikaresistenzen, Wasserverbrauch, Grundwasserprobleme4 wegen einer ungesunden Ernährungsform massiv dazu beitragen, planetare Grenzen5 zu überschreiten. Und während ein Mensch am Tisch spöttisch fragt: „Und macht das jetzt irgendeinen Unterschied, ob du das hier isst oder nicht?“

Es wäre so unglaublich einfach gewesen, diesen Anteil an der Katastrophe – nicht-pflanzliche Ernährung – zu transformieren. Anders als bei Energie, Verkehr oder Industrie hätte es keine neue Infrastruktur gebraucht. Wir hätten einfach aufhören können.

Müsste hierdenn nicht irgendwo auch stehen, dass sich total viel schon verbessert hat? Wie viel tolle vegane Döner es mittlerweile gibt? Ja? Nein?

Worum geht es denn jetzt eigentlich? Um Fleisch!? Oder um die Klimaziele? Um die Ideen vermummter Aktivist*innen in Baumhäusern, um die gerodeten Bäume, um das Naherholungsgebiet, um zu viel Verkehr?

Es geht um alles. Um das Unvereinbare, das Unsagbare. Menschen tauschen Worte aus, ohne zu verstehen, dass diese Worte Bedeutungen haben, die zu unterschiedlichen Universen gehören. Schon eine „Bratwurst“ – für den einen nur lecker, für die andere ein Schmerz auf unendlich vielen Ebenen.

Worum es jetzt geht, ist so groß, so unerträglich, dass ich immer wiede stille Momente und auch die Fakten vor mir brauche, um wirklich bei dem anzukommen, was ich weiß. Welcher Satz kann das transportieren? Das Unausweichliche, die Schuld denen gegenüber, die durch Hitze sterben, auf der Flucht ertrinken, verhungern, flüchten, Todesangst haben. Die Wut denen genüber, die bis zuletzt ihre Geschäfte machen.6 Die Trauer um alles, was mal lebendig und was gewesen sein wird.

Sie fühle sich „hopeless and broken“, hat Ruth Cerezo-Mota aus Mexiko gesagt, der Guardian hat sie am 8. Mai in einer langen Geschichte zitiert, sie ist eine von 380 befragten Top-Klimawissenschaftler*innen aus aller Welt.7

Danebenstehen und das Klima erforschen, ein Leben lang; modellieren, wie die world as we know it von der Weiche springt, in jedem IPCC Bericht Tausende Seiten Analyse, Lösungen, Appelle schreiben, dazu ein Summary for Policymakers8, das Policymakers nicht lesen. Policymakers planen stattdessen neue LNG Terminals, sichern sich dafür in der Welt Fracking Gas, das in Deutschland verboten ist, und bauen beheizte Rohöl-Pipelines quer durch Afrika.9 Weil sie nicht rauskommen aus der Zerstörungsmaschine. Hopeless and broken. Derealisiert.

Hoffnungslos. Das Klima, das Wetter, das Leben auf der Erde wird bis auf weiteres jedes Jahr noch schlimmer werden, mindestens so lange, bis keine weiteren Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gehen.10 Also frühestens wenn keine – also keine – fossile Verbrennung mehr stattfindet und zusätzlich etwa Moore vernässt und sehr viel weniger Tiere gegessen werden11, könnte es auf dem dann erreichten Niveau von „katastrophal“ bleiben – sofern bis dahin noch nichts gekippt ist. Also womöglich in einigen Jahrzehnten. Ist das realistisch?

Weidel (AfD) kämpft für Schnitzel, Merz (CDU) kämpft für deutsche Verbrenner, Lindner und Wissing (FDP) kämpfen für das Recht auf Gasheizung und tempolimitfreie Fahrt auf neuen Autobahnen. Gemeinsam kämpfen sie angeblich für das Recht des kleinen (deutschen) Mannes, dass alles so bleibt wie immer. Vereint im neokolonialen Anti-Klimaschutz-Anti-Zukunft-Märchenerzählen-Populismus.

Und in Niedersachsen kämpft Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) nach dem Süd- jetzt auch am Westschnellweg weiter für die Tradition, Straßen für mehr Verkehr breiter zu planen. Der Verkehr, findet er, ist nun mal da. Er glaubt, dass die Klimaziele (Niedersachsen klimaneutral ab 2040) allein mit E-Mobilität erreicht werden können. Was sind schon Fakten. 12

Der populistische Weg ist verlockend, auch bei der Schuldfrage. Wenn alles – siehe oben – immer schlimmer wird, liegt es dann eben an Migrant*innen und sogenannten Bügergeldschmarotzer*innen und dem ganzen linksgrünwoken Protest-Siff, die alle zusammen abgeschoben, gemaßregelt und kriminalisiert werden müssen. Damit alles so weitergehen kann mit Lobby-Verstrickungen, Superreichen und einem alles verschlingenden Kapitalismus, der unverdrossen mit Wachstums-Rufen angefeuert wird.

Ich stehe da und verstehe, dass die 1,5 Grad durch sind; der Juni kommt, aber ich werde nie wieder mit ungetrübter Erwartung auf Sommer, Ferien, laue Abende, Tage am See blicken. Sondern mit Sorge und Unruhe. Bringt er noch mehr Hitze? Mehr Brände? Mehr Fluten? Tausende Tote oder Millionen Tote? Werden die Nächte auch in Hannover viel zu heiß? Ich sehe, dass Menschen in Indien und Pakistan nie dagewesene Hitze erleiden13, was viele Medien gar nicht mehr auf die Agenda nehmen, weil sich alles in der Aufmerksamkeits-Ökonomie abnutzt: auch immer neue Temperaturrekorde, auch immer mehr Menschen, die tödlichen Bedingungen ausgesetzt sind. Ich sehe Skandale der „Klimaschmutzlobby“, die nicht zum Skandal werden, weil es dafür keinen öffentlichen Raum mehr gibt, weil wir alle vom Algorithmus maßgeschneidert bespielt werden und auch längst keine Kriegs- und Krisen-Kapazitäten mehr haben. Empathie ist aus.

Die Welt wie wir sie kannten ist von der Weiche gesprungen.

Jetzt ist da nur noch eine Welt, die als Lebensort für Menschen stirbt.

***

Noch stehen die alten Kulissen. Von Rentenbescheid bis Autobahnbau, von Bärchenwurst bis Wirtschaftswachstum-Wahlslogan, von Karriereplan bis Einkaufszettel.

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Derealisation: Die Betroffenen […] empfinden die Umgebung wie eine Bühne, auf der jedermann spielt.
***

So what?

Nur eine Idee: Derealisation für alle. Mehr Mut, inkompatibel mit der Show zu werden, in der weiter die Bilder einer Welt wie wir sie kannten laufen; stattdessen so lange auf die Bühne zu starren, bis die Kulissen flirren und verschwinden. Noch mehr Mut, um die Welt, die stirbt, sehen und aushalten zu können – und Abschied zu nehmen. Mut und Phantasie, um herauszufinden, was jetzt zu tun ist, für jede*n einzelne*n, um das Sterben so gut es geht zu gestalten, solidarisch und gerecht.

Wenn wir viele sind, hören wir auf, inkompatibel und sprachlos in der Welt zu sein. Wenn wir viele sind, könnten wir mit dem Weiter-so der Horror-„Normalität“ brechen und eine eigene Geschichte erzählen, die gehört wird – und sie nicht den Populisten und Faschisten überlassen.

Nein, das ist kein Happy End, Happy End ist jetzt nicht mehr im Angebot.

1ACHTUNG: Die Analogien in diesem Text zitieren aus der verlinkten Beschreibung zur „Derealisation“, beziehen sich aber explizit nicht auf reale Erkrankungen oder medizinische Diagnostik! Bitte holt euch ärztlichen Rat, wenn ihr den Eindruck bekommt, dass ihr von dieser Diagnose im medizinischen Sinne betroffen seid.

2Mit „wir“ fasse ich hier Menschen in Deutschland zusammen, die ausreichend privilegiert sind, um sich als Teil einer durch allgemeine Medien geschaffenen Öffentlichkeit verstehen zu können.

3täglich aktualisierte Werte unter https://www.co2.earth/daily-co2

4https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/ernaehrung-konsum/fleisch/der-appetit-auf-fleisch-und-seine-folgen/

5https://www.pik-potsdam.de/de/produkte/infothek/planetare-grenzen

6Millionenschwere Klimaschutzprojekte von Mineralölkonzernen in China existieren offenbar nur auf dem Papier:https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/unternehmen/shell-rosneft-omv-betrug-verdacht-klimaschutz-100.html

7https://www.theguardian.com/environment/ng-interactive/2024/may/08/hopeless-and-broken-why-the-worlds-top-climate-scientists-are-in-despair

8https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr/summary-for-policymakers/

9https://eacop.com/ und Kritik etwa von Amnesty https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/uganda-tansania-repression-protest-gegen-pipeline-oel-und-schlaege

10Was passiert, wenn die CO₂-Emissionen aufhören? https://www.sueddeutsche.de/wissen/klimawandel-erderwaermung-co2-netto-null-emissionen-forscher-berechnungen-1.6303583

11Studie zu den Voraussetzungen und Möglichkeiten, in Deutschland bis 2045 klimaneutral zu werden https://ariadneprojekt.de/publikation/energiewende-auf-netto-null-passen-angebot-und-nachfrage-nach-co2-entnahme-aus-der-atmosphaere-zusammen/

12„Die Klimaschutzziele lassen sich bei Weitem nicht allein durch einen Anstieg der Zulassung batterieelektrischer Fahrzeuge erreichen.“ (S. 19) https://www.fgsv-verlag.de/e-klima-2022 und https://fridaysforfuture.de/studie/schluesselergebnisse/

13Extremhitze in Indien – 33 Wahlhelfer sterben an Hitzeschlag, https://www.t-online.de/klima/leben-umwelt/id_100418474/klimawandel-33-wahlhelfer-in-indien-sterben-an-hitzeschlag.html